Zwischen KZ-Haft, Zuchthaus und Neuanfang

Hautspezialist Dr. Martin Claus kann nach einem Jahrzehnt seine Familie wieder in die Arme schließen.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Washington – Am 20. Juni 1955 begann für den 66 Jahre alten Dr. Martin Claus, Hautspezialist aus Berlin, ein neues Leben. Er stieg aus dem großen Überseeflugzeug und stand auf amerikanischen Boden, um gleich darauf seine nächsten Angehörigen in die Arme zu schließen. Die 11jährige Enkelin hatte er bis zu diesem Tage noch nie gesehen. Und Frau und Tochter waren ihm während der langen Trennung schon fast Unbekannte geworden. Zehn Jahre waren nämlich vergangen, seit ihn die sowjetischen Besatzungsstreitkräfte verhafteten und in das berüchtigte KZ Sachsenhauen einlieferten.
Fünf Jahre hielten ihn die Sowjets dort fest. Da er als Lagerarzt eingesetzt wurde, konnte er aufschlußreiche Angaben über den Gesundheitszustand der Häftlinge machen, als er seine Freiheit wieder erlangte. Er berichtete, daß besonders Tuberkulose unter den 14 000 Lagerinsassen stark verbreitet sei, und zehn von elf Häftlingen, die an dieser Krankheit litten, starben. Das Lager Sachsenhausen, führte er aus, sei in erster Linie mit Deutschen belegt, obwohl es jedoch auch etwa siebenhundert sowjetische Inhaftierte gäbe, die von den Besatzungsbehörden der Sowjetzone zu Strafen verurteilt seien. Die medizinische Behandlung entspreche in gar keiner Weise den modernen Errungenschaften auf diesem Gebiete und sei mit den Bestimmungen der Genfer Konvention über die Behandlung von Gefangenen nicht vereinbar.
1950 wurde Dr. Claus den kommunistischen Behörden des sowjetischen Sektors von Berlin übergeben, die ihn als Kriegsverbrecher und Teilnehmer am Sterilisierungsprogramm der Nazis anklagten. Dr. Claus verteidigte sich unwiderlegbar, in dem er bewies, daß er mit diesen Dingen nicht das geringste zu tun gehabt habe. Der Staatsanwalt behauptete jedoch einfach, daß er Freunde gehabt haben müsse, die an diesem Programm beteiligt gewesen seien, und so verurteilte ihn das „Gericht“ zu 25 Jahren Zuchthaus in Waldheim. Die ganze Verhandlung habe eine Viertelstunde gedauert, berichtete Dr. Claus. Eine Viertelstunde, die über das Leben eines unschuldigen Menschen entschied. Er hatte bei allem Unglück noch das Glück, während der im Jahre 1954 erfolgten Teilamnestie entlassen zu werden. Im Westsektor Berlins kurierte er sich aus und sieht heute wieder gesund aus. Über die gestohlenen Jahre seines Lebens spricht er ohne Haß, mit äußerster Sachlichkeit.
Im Kreise seiner Familie, die inzwischen nach den Vereinigten Staaten ausgewandert ist und ihn nun auf dem Flugplatz Washington in die Arme schließen konnte, wird Dr. Claus einen neuen Lebensabschnitt beginnen, ein Leben in Freiheit weitab von den „Segnungen“ des roten Regimes.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Allgemeines“ vom 06.07.1955 unter dem Titel "Von Sachsenhausen nach Washington – nach 10jähriger KZ-Haft begann für Berliner Arzt neuer Lebensabschnitt". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Deutsches Volksfest in USA“ oder „Vom 50-Cent-Wochenlohn zum 20-Millionen-Dollar-Umsatz“, klicken Sie bitte hier.

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