Wundermittel Oestrogen: Wie das Sexualhormon Herzinfarkte vorbeugt

Der Herzinfarkt galt als die häufigste Todesursache der meisten zivilisierten Länder um 1960. Die Medizin forscht nach neuen Wegen der Heilung. Lesen Sie über den Ansatz der Follikelhormontherapie.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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(Nach „Medical News“)

Der Herztod nimmt, wie die Statistik zeigt, ständig an Häufigkeit zu und ist in den meisten zivilisierten Ländern unter allen Todesursachen bereits an die erste Stelle gerückt. Was Wunder, wenn überall in der Welt Internisten nach neuen Mitteln und Wegen suchen, um gegen Herzerkrankungen möglichst vorzubeugen oder zum mindesten deren unmittelbare Gefahr für das Leben des Patienten zu verringern.
Unter den verschiedenen Erkrankungsformen ist es der Myokardinfarkt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Häufigkeit als auch seiner Folgenschwere. Dabei braucht der akute Anfall, mit dem stets das Absterben eines Herzmuskel-Bezirks durch ein Strombahnhindernis in den Koronargefäßen einhergeht, nicht immer als die ernste Angelegenheit in Erscheinung zu treten, die er tatsächlich ist. Und es gibt Fälle, wo die Betroffenen danach noch 10 oder mehr Jahre gelebt und sogar regelmäßig gearbeitet haben. Im allgemeinen beträgt jedoch die durchschnittliche Überlebenszeit 3 bis 5 Jahre; 30 Prozent der Patienten sterben bereits innerhalb der ersten zwei Monate nach dem Infarkt. 
Wenn es gelänge, die Überlebenszeit mit einiger Sicherheit zu verlängern, wäre daher schon viel gewonnen. Manches wurde von der Medizin auf diesem Gebiet schon versucht, und manches davon mit gutem Erfolg. In diesem Zusammenhang verdient die Follikelhormon (Oestrogen)-Behandlung von Frauen im vorgeschrittenen Alter besondere Aufmerksamkeit, die im Postklimakterium einen Herzinfarkt erlitten haben; dabei werden kleine Dosen Follikelhormon (10 Gamma Äthinyloestradiol) über einen möglichst langen Zeitraum hinweg gegeben, Wie andere Hormontherapien von Kreislaufstörungen ist auch diese Therapie aus der vor etwa zwei Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnis entwickelt, daß gewisse Sexualhormone durch Förderung des Herzmuskelstoffwechsels Koronarveränderungen günstig beeinflussen ja sogar zur Rückbildung bringen können. Der naheliegende Gedanke, mit Oestrogengaben dem Herzinfarkt bei Männern vorzubeugen, die meist schon in jüngeren Jahren davon bedroht sind, läßt sich jedoch wegen der Nebenwirkungen, insbesondere einer gewissen Feminisierung, nicht verwirklichen. Hier könnten erst oestrogenhaltige Verbindungen weiterhelfen, die keine derartigen Erscheinungen hervorrufen.

Dagegen erweist sich die Behandlung bei Frauen in einem Alter, in dem die Ovarialtätigkeit und damit die Eigenproduktion von Sexualhormonen weitgehend erloschen ist, als vielversprechend. Dr. Jessie Marmoston (Los Angeles, Kalifornien) berichtete kürzlich vor der Amerikanischen Therapeutischen Gesellschaft in Atlantic City über eigene umfangreiche Studien auf diesem Gebiet: Die Untersuchung befaßte sich mit den Krankengeschichten von etwa 1000 Männern und Frauen und im besonderen mit den vergangenen vier Jahren nach einem Myokardinfarkt unter klinischer Beobachtung standen. Diese Patientinnen waren auf Grund der nach dem akuten Anfall verflossenen Zeit sowie der Art und Schwere eventuell vorhandener zusätzlicher Komplikationen – Hochdruck, Diabetes, Myxödem und Herzinsuffizienz in acht verschiedenen Gruppen eingeteilt, wobei jeweils eine entsprechende Anzahl als Kontrollgruppe beobachtet und keiner hormonellen Behandlung unterzogen wurde.
Die Vergleiche ergaben eine klare Überlegenheit der Oestrogen-Therapie gegenüber allen übrigen angewandten Behandlungsweisen. Im Durchschnitt konnte die Lebensdauer bei den Gruppen mit Komplikationen um 14 Monate, bei den Gruppen ohne Komplikationen um 21 Monate verlängert werden. Sie zeigte in allen Fällen eine deutliche Abhängigkeit von der Dauer der Oestrogen-Behandlung. Besonders augenfällig war die Wirkung der Hormontherapie bei Frauen, die an Myxödem litten und durch einen Myokardinfarkt besonders gefährdet sind.
Zweifellos bedarf die Anwendung von Follikelhormon-Präparaten zur Behandlung von Patienten mit Herzinfarkt noch der Überprüfung durch weitere Forschungen. Jedoch steht nach den Ergebnissen der systematischen Untersuchungen, wie sie in verschiedenen amerikanischen Krankenhäusern durchgeführt wurden, zumindest das eine fest, daß Oestrogene in bestimmten Fällen eine wirksame Waffe gegen den Herztod sind.



Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Allgemeines“ vom 04.09.1959 unter dem Titel "Sexualhormone gegen Herztod". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Siegeszug der Musik in den USA“ oder „Bilder aus dem Gefängnis ausverkauft“, klicken Sie bitte hier.

Wundermittel Oestrogen: Wie das Sexualhormon Herzinfarkte vorbeugt