Wachsende Bedeutung von Politik im Fernsehen

Das Fernsehen nicht allein zu Unterhaltungszwecken dienen muss, sondern sich auch als wirkungsträchtiges Mittel erweist, die Öffentlichkeit über wichtige Ereignisse auf dem Laufen zu halten, lernte die Welt insbesondere im Zuge des Pariser Gipfeltreffens um 1960. Lesen Sie über das neue geplante Fernsehprogramm im Zuge der anstehenden Präsidentschaftswahlen der Vereinigten Staaten.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Ein Artikel von John Kerigan

Washington – Die dramatischen Ereignisse der Pariser Gipfelkonferenz haben erwiesen, welch außergewöhnlich wirksames Mittel das Fernsehen ist, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit über die laufenden Ereignisse ins Bild zu setzen. Zugleich sind es rein innerpolitische Entwicklungen in Washington, die dem amerikanischen Fernsehen etwas Neues zu bringen versprechen: Fernsehdiskussionen der Präsidentschaftskandidaten während der bevorstehenden Wahlkampagne.
Die Behandlung wichtiger öffentlicher Angelegenheiten auf dem Bildschirm ist für das amerikanische Fernsehen und seine Zuschauer bereits zur selbstverständlichen Tradition geworden. Im Grunde leitet sie sich von einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen den Sendegesellschaften und dem US-Bundesamt für das Nachrichtenwesen (FCC) her, nach der das Fernsehen als Gegenleistung für seine Sendeprivilegien (die als öffentliches Eigentum betrachtet werden) den „öffentlichen Interessen, Belangen und Erfordernissen“ dienen soll..

Die großen Sendegesellschaften haben eine Fülle von Beweisen geliefert, daß sie sich der Aufgabe des Fernsehens gegenüber der Öffentlichkeit voll bewusst sind. Denn das Minimum an Sendezeit, das gerechterweise von ihnen für diese Zwecke erwartet werden kann, haben sie bei weitem überschritten. Zuzeiten ließen das FCC und eine wachsende Zahl von Fernsehteilnehmern den Wunsch nach einem größeren Maß an gehaltvollen Sendungen laut werden – ein Wunsch, dem die Programmgestalter in ihren jüngsten Plänen glücklicherweise entgegenzukommen scheinen –, und es dürfte kaum jemanden geben, der die starke Berücksichtigung wichtiger nationaler und internationaler Entwicklungen in den Fernsehprogrammen übelnimmt.
Wie wirksam und informativ solche öffentlichen Ereignisse im Fernsehen dargestellt werden können, zeigten in bewundernswerter Weise die Sendungen während der bangen und dramatischen Tage von Paris. Die meisten Fernseh- und Rundfunkgesellschaften sowie die unabhängigen Sender hatten besondere Vorkehrungen getroffen, um durch einen erweiterten Nachrichtendienst die Öffentlichkeit über die jüngsten Entwicklungen auf dem laufenden zu halten. Bei den großen Gesellschaften, die ihre besten Kommentatoren und Kameradschaften an Ort und Stelle entsandt hatten, geschah dies in Form von Sonderberichten, die durch deutende Analysen von Expertengruppen im Studio ergänzt wurden. Die unabhängigen Fernsehstationen beschränkten sich dagegen hauptsächlich auf erläuternde Diskussionen am runden Tisch, während Radionetzwerke und unabhängige Rundfunksender in Sonderprogrammen ihre Hörerschaft in gleicher Weise wirkungsvoll über die Vorgänge in Paris unterrichteten.
Ministerpräsident Chruschtschows Mammutpressekonferenz stellte nicht nur eine Herausforderung an die Diplomaten der freien Welt, sondern auch an die Medien der Nachrichtenübermittlung dar. Durch schnelle Programmänderungen waren Fernsehen und Rundfunk der USA in der Lage, diesen Anforderungen gerecht zu werden und ihrem Publikum Chruschtschows stürmische Ausführungen im originalen russischen Wortlaut mit simultaner Übersetzung vorzuführen. Ausschnitte dieser Pressekonferenz auf Videoband waren während des ganzen Tages zu verschiedenen Zeiten auf dem Bildschirm zu sehen, der Abend brachte eine längere Zusammenfassung. Die beiden größten Fernsehnetzwerke widmeten der Pressekonferenz drei Sendestunden.
Im großen und ganzen war die Berichterstattung über die Gipfelkrise ruhig, freimütig und umfassend – völlig in Übereinstimmung mit der Tradition des amerikanischen Journalismus, die Öffentlichkeit über lebenswichtige Probleme informiert zu halten.
Während das Fernsehen die Entwicklung der internationalen Beziehungen in Paris verfolgte, begann in Washington ein neuer Sendetyp Gestalt anzunehmen: Fernsehen als freies Forum für politische Diskussionen.

In den vergangenen Jahren wurden politische Kandidaten in Fernsehsendungen vorgestellt, die die Parteien für diesen Zeck eigens von den Sendegesellschaften gekauft hatten. Der Plan einer von 23 Senatoren befürworteten Gesetzesvorlage sieht die Überlassung von kostenloser Sendezeit für eine Reihe vom Fernsehen übertragener Diskussionen vor, an denen jede Partei, deren Kandidat in der vorhergehenden Wahl vier Prozent der Gesamtstimmenzahl auf sich vereinigt hat, teilnehmen darf. Dieser Plan stößt auf die Ablehnung der beiden größten Sendegesellschaften – nicht, weil ihnen der Grundgedanke selbst widerstrebte, sondern wegen ihrer Einstellung gegen einen gesetzlichen Zwang überhaupt. Statt dessen haben sich die Gesellschaften bereit erklärt, wöchentlich jeweils eine Stunde Hauptsendezeit in den acht Wochen vor der Präsidentschaftswahl im November dieses Jahres zur Verfügung zu stellen – eine der beiden Gesellschaften mit dem Vorbehalt, daß der Kongreß das Fernsehen vor Forderungen nach Sendezeit von Seiten obskurer Kandidaten schützt. 
Natürlich wird auch weiterhin jedem politischen Kandidaten die übliche, bezahlte Sendezeit verfügbar sein. Die neuen Vorschläge jedoch eröffnen den Präsidentschaftskandidaten die Möglichkeit, auf dem Weg über den Bildschirm Millionen amerikanischer Heime zu betreten und in einer Serie von Diskussionen dem Wähler ihre Ansichten direkt darzulegen. 

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Allgemeines“ vom 03.06.1960 unter dem Titel "Politik im amerikanischen Fernsehen". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Die Weltmeere als Nahrungs- und Rohstoffquelle“ oder „Geld fließt nach Mitternacht“, klicken Sie bitte hier.

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