Von Vätern und Töchtern

"Ein kleines Mädchen bringt unsere Wohnung, unser Haar und unsere ganze Würde in Unordnung, es reißt an unserem Geld, unserer Zeit und und unseren Nerven – und gerade dann, wenn unsere Geduld am Ende zu sein droht, blinzelt plötzlich wieder der Sonnenschein durch, und man ist wieder machtlos." Lesen Sie den gesamten Artikel aus dem Jahr 1951 indem ein Vater das Leben mit seiner kleinen Tochter beschreibt.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

Illustrationen

Boston, Massachusetts – kleine Mädchen kommen mit einem Heiligenschein auf die Welt, der sich zwar mit der Zeit ein bisschen abnützt, von dem aber dennoch soviel erhalten bleibt, daß er unser Herz wie ein Lasso einfängt – auch wenn sie mitten im Schmutz spielen oder gegen die Haustür treten. Ein kleines Mädchen kann süßer (u. kratzbürstiger) sein als irgend jemand sonst auf der Welt. Das tanzt und hüpft und stampft und produziert die seltsamsten Geräusche, die einem an den Nerven reißen, aber wenn man gerade den Mund aufmachen will, steht es lammfromm da mit dem unschuldigsten Blick der Welt. Ein kleines Mädchen – das ist die Unschuld, die nackt im Sand spielt, die Schönheit, die Kopf steht, und die Mütterlichkeit, die eine Puppe am Fuß hinter sich herschleift. Kleine Mädchen sind in fünf Farben lieferbar – Schwarz, Weiß, Rot, Blond und Braun, aber Mutter Natur bringt das Kunststück fertig, stets unsere Lieblingsfarbe zu besorgen, wenn wir unsere Bestellung aufgeben. Mädchen widerlegen das Gesetz von Angebot und Nachfrage, sie kommen zu Millionen vor, sind einzeln aber dennoch so kostbar wie ein Rubin.

Gott macht bei vielen Tieren Anleihen, wenn er kleine Mädchen schafft. Er nimmt den Gesang der Vögel, das Gequiek der Schweinchen, die Bockigkeit des Esels, die Grimassen des Affen, die Schnelligkeit der Gazelle, die Schläue des Fuchses, die Sanftmut eines Kückens und krönt das Ganze mit dem Geheimnis einer Frau. Kleine Mädchen lieben neue Schuhe, hübsche Kleider, kleine Tiere, Lärminstrumente, die Freundin, Puppen, Märchen, Eiscreme, Bilderbücher, Gießkannen, Kaffeekränzchen und einen ganz bestimmten Jungen. Dagegen zeigen sie wenig Interesse an Gästen, Jungen im allgemeinen, großen Hunden, Sesseln, auf denen man geradesitzen muß, Spinat und Aufsichtspersonen. Sie sind am lautesten, wenn man gerade nachdenkt, am reizendsten, wenn sie uns geärgert haben, am eifrigsten, wenn sie schlafen gehen sollen, am scheuersten, wenn man Staat mit ihnen machen will, und am zärtlichsten, wenn wir uns um keinen Preis schon wieder um den Finger wickeln lassen wollen.

Wer sonst kann soviel Sorgen, Freude, Ärger, Befriedigung, Verlegenheit und Entzücken verursachen wie diese Kombination von Eva, Salome und der Hl. Elisabeth. Ein kleines Mädchen bringt unsere Wohnung, unser Haar und unsere ganze Würde in Unordnung, es reißt an unserem Geld, unserer Zeit und und unseren Nerven – und gerade dann, wenn unsere Geduld am Ende zu sein droht, blinzelt plötzlich wieder der Sonnenschein durch, und man ist wieder machtlos. Ja, sicher: so ein kleines Mädchen ist ein nervenzerreibendes Ärgernis, ein schreiendes Häufchen Unheil. Aber wenn alle deine Wünsche und Träume zusammengebrochen sind, wenn die Welt für dich nur noch ein trübes Chaos ist und du dir wie ein armer Narr vorkommst, dann macht eben dieses kleine Mädchen dich wieder zu einem König, wenn es auf deinen Schoß klettert und flüstert: „Dich habe ich am allerliebsten.“

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Für die Frau“ vom 01.08.1951 unter dem Titel "Ein schreiendes Häufchen Unheil – ein verliebter Vater beschreibt seine kleine Tochter". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Angeborener Schwachsinn – kein unabwendbares Schicksal mehr?“ oder „Freiheit ist Verantwortung“, klicken Sie bitte hier.

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