"The Second Coming"

"The Second Coming" – eine Zeitschrift, die von sechs Columbia Studenten ins Leben gerufen wurde, die sie selbst als "Bereitschaftswagen für die Wiederkehr des amerikanischen Intellekts" bezeichneten, feierte ihre Erstveröffentlichung im Januar 1961. Gründer waren unter anderem Samuel Pitts Edwards und Jack Rennert. Große Namen wie Allen Ginsberg und Peter Viereck wurden in ihrer Zweimonatszeitschrift abgedruckt.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

Illustrationen

New York – Sechs New Yorker Studenten, vierundzwanzig der älteste, waren der unwidersprochenen Meinung, sie hätten der Welt, der US-amerikanischen jedenfalls, Wichtiges zu verkünden. Das war vor knapp einem Jahr.
Im Januar dieses Jahres bereits hing das Medium zur Verbreitung dessen, was sie zu sagen beschlossen hatten, als äußerlich kühn koloriert –, innen mit Qualität und Mut an konzipierte Zweimonatszeitschrift für Literatur und Kultur an den Zeitungskiosken zum Verkauf aus.
Die Zeitschrift trägt den nicht gerade sehr bescheidenen, aber um so beziehungsreicheren Namen „The Second Coming“. Das ist englische Bibelterminologie und das Pendant zur Lutherschen Wortprägung „Wiederkehr“ (Wiederkehr Christi am Tage des Jüngsten Gerichts)!
Was die sechs jungen Leute mit ihrem „Second Coming“ wollen, hat allerdings mit der biblischen Wiederkehr nichts zu tun, schon eher ist's eine Art Jüngstes Gericht über den – wie sie meinen – Schlaf des amerikanischen Intellekts. Jedenfalls nennen sie ihre Zeitschrift selber einen „Bereitschaftswagen für die Wiederkehr des amerikanischen Intellekts.“
Was sie bringen wollen, ist „das Allerbeste an Kunst, Artikeln, Dichtungen und Kritik mit bewußt gesetzter frisch-junger Akzentuierung“.
Das Ganze ein leidenschaftliches Unterfangen und tapfer, zum Beifallklatschen; denn man kennt ja die Schicksale von so vielen guten Literaturzeitschriften, und war nicht nur der in Amerika.
Immerhin haben unsere sechs Gründer ihr „Second Coming“ von vornherein nicht auf finanziellen Sand gebaut, sondern zunächst einmal einen wenn auch nicht tiefverankerten, so doch soliden Dollargrundstein gelegt, indem sie nun einen „Baedeker“ über New York für Studenten des Sommersemesters an der Columbia-Universität herausgaben. Mit dem daraus erzielten Gewinn stellten sie erst einmal 3500 Exemplare einer Probenummer her, die sie gratis an potentielle Bezieher und vor allem an anzeigenfreudige Firmen verschickten.
Und siehe da, die Werbeleiter der meisten angeschriebenen Firmen wollten natürlich in kaum einem Falle als Nichtintellektuelle gelten, obschon sicherlich nicht sehr viele Menschen mit vielen der alles andere als zimperlich geschriebenen Beiträge einverstanden sein werden. Provokation, Kontroverse: Politisch wird man mit der Nase, ob man will oder nicht, direkt in die Szenerie des dominikanischen Diktators Trujillo gestoßen. Und dazu stammt der Bericht auch noch aus der Feder jenes bekannten, vom Gedanken der Demokratie besessenen Opponenten Trujillos, Dr. Jesus de Galindez, der vor fünf Jahren unter bis heute noch nicht geklärten Umständen mitten in New York verschwand.
Mitten ins Wespennest hinein! Scheint die Parole der jungen Rührer im Fettnäpfchen eines sanft entschlummernden (nicht nur) amerikanischen Intellekts zu sein. Davon zeugt eine messerscharfe Analyse der belgischen Wirtschaftspolitik im Kongo von dem kenntnisreichen Geschäftsmann und außenpolitischen Analytiker Daniel Friedenberg.
Im literarischen Teil findet man eine Fülle von jungem Talent neben den Arbeiten schon Arrivierter wie etwa Auszügen aus des Pulitzerpreisträgers Peter Viereck neuem Versdrama „Tree Witch“ (Baumhexe).
Dann fällt ein „Porträt in Worten“ von einer gewissen Rosellen Brown auf, in welchem der kurze Moment, den ein Streichertrio just vor dem Ansatz des Bogens zum musikalischen Einsatz erlebt, mit den feinsten Haarpinseln filigranhafter Sprache meisterlich eingefangen ist.
Literatur-, Theater- und Filmkritik fliegen hoch über dem Durchschnitt dieses Genres, kreisen um Stil, Form und andere wichtige Aufbauelemente, stoßen zum Kern der Schöpfung vor und hacken ihn spitzschnabelig und erbarmungslos auf, statt, wie heutzutage üblich geworden, nur Inhalt und Story wiederzugeben.
Gleiches gilt für die „Reisenotizen“ des Architekten Percival Goodman, die in Wirklichkeit scharfe Analysen der zeitgenössischen Architektur sind. Er geht die meist nur technischen Aufschlüsselungen heutiger Bauprobleme vom menschlichem, individuellen Aspekt her an und zeigt, daß die so erzielten Lösungen keine echten Lösungen sind, sondern oft unzulängliche Auswege, die durchaus zu Sackgassen werden können.
Goodmans Ansichten sind geeignet, Stürme unter den Fachleuten zu entfesseln.
Alles in allem kann man Seite für Seite der ersten Nummer dieser mit soviel jugendlich-intelligentem Enthusiasmus begonnenen „Wiederkunft“ eines individualistischen Intellekts kat'exochen als gelungen bezeichnen.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst vom 17.03.1961 unter dem Titel "Die Wiederkunft – und sechs junge amerikanische Studenten". Für weitere Artikel dieser Ausgabe, wie: „Max-Ernst-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art“, oder „NASA-Preis für Dr. Frank T. McClure, Erfinder der Doppler-Navigation“ , klicken Sie bitte hier.

"The Second Coming"