Sommer, Sonne, Theater

Während die einen sich der Urlaubsstimmung hingeben, bedeuten die Sommermonate im Theaterbetrieb vor allem eins: Arbeit. TheatermanagerInnen der 50er Jahre sehen sich vor wachsenden Herausforderungen: ansteigende Produktionskosten, anspruchsvolle Zuschauer und stetig die harte Konkurrenz des Fernsehens im Rücken.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Illustration von Adeline Krems

Ein Artikel von Norman Smith

New York – Voriges Jahr waren es die Hurrikane, dieses Jahr sind es die Preise – was auch immer los sein mag, der Sommertheater-Produzent muss sich placken, so oder so. 
Er ist allerhand gewohnt, der Produzent. Er ist ein Mann (manchmal ist es auch eine Frau), der sich mit einem Haufen Schwierigkeiten herumschlägt, um das Theater während der heißen Sommermonate in Gang zu halten. Wenn er kann, erzielt er etwas Gewinn – das ist dann ein ungewohnter Lichtblick in dem Betrieb. 
Seine Sorgen reichen von der Fernseherei mit ihren Heim-Guckern und großen Stars bis zum schlechten Wetter und mittelmäßigen Bühnenstücken. Die dramaturgische Speisekarte ist im Sommer traditionsgemäß sehr leicht – so leicht, daß sie sich schon fast in Nichts auflöst. Jedoch, wenn man jetzt einen kurzen Blick auf das wirft, was in den nächsten sechs bis acht Wochen in all den festlich garnierten Scheunen, den Zelten, den gemieteten Schul-Aulen und anderen Stationen des Thespis-Karrens über die Bretter gehen soll, so kann man nicht umhin festzustellen, daß es in diesem Sommer mit dem Angebotenen durchweg besser aussieht als in den vorhergehenden Jahren.
Die alten totsicheren Schlager wie „Room Service“, „Springtime for Henry“, „Goodbye, my Fancy“ , und was sonst noch auf dieser Linie lag, haben jetzt dem neuen Komödien-Jahrgang und seinen „Auf-alle-Fälle-Reserven“ Platz gemacht. Die drei gefragtesten Stücke in diesem Sommer sind, wie einer der führenden Manager verlauten lässt, „Picnic“, „The Caine Mutiny Court Martial“ (Kriegsgerichtsakte Meuterei auf der Caine) und „The Rainmaker“ (Der Regenmacher). Die ersten beiden waren diesen Winter Broadway-Schlager, „Picnic“ bekam sogar den Pulitzer Preis 1953, „The Rainmaker“ hat in der vergangenen Saison als „guter Durchschnitt“ abgeschnitten.

Ein weiteres Problem, daß den Produzenten Kopfzerbrechen bereitet, ist der unersättliche Appetit des Fernsehens nach guten Stücken, der bereits tiefe Eingriffe in das sommerliche Menue des Theaters zur Folge hatte. Zum Beispiel hatte eine Schauspielerin vorgehabt, diesen Sommer mit Robert Sherwood's „The Petrified Forest“ (Der versteinerte Wald) auf Tournee zu gehen. Fast im allerletzten Moment ließ sie diesen Plan fallen und entschied sich stattdessen für „Picnic“, nur weil das Sherwood-Stück bis vor kurzem über den Fernsehfunk gelaufen war. Die Manager des Theaters haben eine Lehre aus dem vergangenen Jahr gezogen: Neue Stücke, selbst von guteingeführten Autoren, haben bei dem Ferienpublikum und den Leuten, die aus den Städten und Vorstädten aufs Land gefahren kommen, um einen erfrischenden Theaterabend zu erleben, keine Zugkraft. Bringt man im Sommer Erstaufführungen von Autoren wie John O'Hara, Calder Willingham oder John Cecil Holm – gedacht als Vorschau auf die kommende Herbst-Winter-Saison-, so kann man nie voraussagen, ob sich ihre Hoffnungen erfüllen und auf welcher Broadway-Bühne sie im Jahre 1955 nun wirklich heimisch werden.
Jedoch, wie dem auch sei, die Hoffnung hört nie auf zu sprudeln. Und so will denn das Sommertheater in Falmouth im Staate Massachusetts einen „Broadway-Vorversuch“ mit Arthur Millers „A View from the Bridge“ (Ein Blick von der Brücke) wagen, einer Musterkollektion von zwei kurzen Stücken. Wo Arthur Miller nun als Amerikas bester Bühnenschriftsteller gilt, ist er vielleicht dazu berufen, das Vorurteil zu brechen, das alle Experimente auf den Brettern der sommerlichen Scheunen-Theater begleitet. 
Was den Managern des Sommertheaters aber zur Zeit größte Sorgen macht, sind die angestiegenen Inszenierungskosten und besonders die höheren Gagen, die jetzt zu zahlen sind. Die meisten der Theater sind sogenannte „Equity“ (Recht und Billigkeit)-Häuser – „Equity“ ist die Gewerkschaft der Schauspieler. Sie müssen ihre Gagen nach den von der Gewerkschaft festgelegten Sätzen bezahlen. 
Der Mindestsatz einer Wochengage für einen „Equity“ - Schauspieler am Sommertheater beträgt jetzt 75 Dollar, also rund 20 Dollar mehr als im vergangenen Jahr. Auch die Proben-Gagen sind beträchtlich gestiegen, beziehungsweise werden sie in die regulären Gagen miteinbezogen.
Zu den Konkurrenten, die das Fernsehen und der Film für das Sommertheater sind, hat sich nun noch ein weiterer Rivale hinzugesellt: Die sogenannten „Musical Tents“ (Musik-Zelte). In diesem Sommer werden es allein ihrer fünfzehn sein, die den Theatern schwer zu schaffen machen werden.
In solch einem „Musical Tent“ oder „Music Circus“, wie man auch sagt, herrscht eine ganz eigenartig flirrende, karnevalistische Atmosphäre. Da kann man heiße Würstchen verkonsumieren oder mit vollen Backen Puffreis schnurpsen, und nebenher sieht man sich an, was auf der Bühne gezeigt wird. Sehr tüchtige Darsteller sind es, die da ganz ausgezeichnet einstudierte musikalische Komödien spielen, so zum Beispiel „Wonderful Town“ (Wunderschöne Stadt), „Me and Juliet“ (Ich und Julia) oder „By the beautiful Sea“ (Durchs schöne Meer).
Trotz mancher Schattenseiten, als da sind: dauernde Reparaturen, notwendige Überwachung und vor allen Dingen die Unmöglichkeit, die Temperaturverhältnisse zu regeln, scheint die Zelt-Idee an Boden zu gewinnen. So hatte Philadelphias Fairmount-Park letztes Jahr mit seinen Zelt-Theater einen ganz enormen Erfolg. Fast jede Abendvorstellung war von mehr als tausend Menschen besucht, die rings um die Bühne herum wie in einer Arena saßen. Die einzelnen Ränge waren durch die verschiedenen Farben, in denen die Sitze gehalten waren, kenntlich gemacht.

Die Anfangs erwähnten Hurrikane haben den Theaterleuten an der Ostküste in der Tat nicht unerheblich zugesetzt. Ein Regenguß kann schlimmstenfalls die Aufmerksamkeit ablenken, aber wenn so einer jener Sturmwinde unterwegs ist, wie sie gegen Sommerende die Atlantik-Küste heimzusuchen pflegen, dann kann das die Vorstellung buchstäblich über den Haufen werfen.
Die Zelttheater-Unternehmer sind deshalb auch dazu übergegangen, die Spielzeit abzukürzen und ihre Zelte schon in der dritten August-Woche abzubrechen. Diejenigen aber, denen ein etwas solideres Dach zur Verfügung steht, werden das Vergnügen haben, sich außer um die Reklame, die Rollenbesetzung, die Bauten, die Unterbringung, die Verpflegung, die Zähmung temperamentvoller Schauspielerinnen und dergleichen mehr auch noch zusätzlich um die meteorologischen Karten kümmern zu dürfen. Und dieses mit größtmöglicher Aufmerksamkeit.
Noch im letzten Sommer ist es passiert, daß einem Theater in Neu-England von einem Hurrikan das ganze Dach entführt und die Flanke aufgerissen wurde! Nach gründlicher Überholung hat es dann allerdings dieses Jahr wieder seine Pforten geöffnet.
Auch für das Theater gilt jenes etwas sentimentale und doch so herbe Wort: Die Vorstellung geht weiter. Und auf daß es weiter gehe, müssen alle mit anpacken. Der Star auf Gastspielreise wie der vielgeplagte Theaterdirektor, für die vielen Millionen Menschen, die Amerikas traditionelles Sommertheater sehen wollen.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst vom 13.07.1955 unter dem Titel "Sommerzeit auf den Brettern, die die Welt bedeuten – Amerikas traditionelles Sommertheater". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Friedliche Koexistenz“, oder „Atomzertrümmerer als „kosmisches Mikroskop“, klicken Sie bitte hier.

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