Raumflugexpertin Dr. Dorothy

Dr. Dorothy Simon strotzt den geläufigen Frauen-Klischees mit technischem Geschick und fachlichem Know-how. Ein Artikel der Saturday Evening Post, veröffentlicht im Amerikadienst von 1959, über eine der bedeutsamsten amerikanischen Wissenschaftlerinnen im Gebiet der Raketentechnik und Raumflug.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

Illustrationen

Ein Artikel von Roul Tunley, aus „The Saturday Evening Post“. Der Abdruck dieses Artikels ist nur mit Angabe des Verfassers und dem Vermerk „Mit besonderer Genehmigung von 'The Saturday Evening Post', Copyright 1959 'The Curtis Publishing Company' gestattet.

Bei einer Reparaturwerkstatt in Andover im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts klingelt das Telefon. Am anderen Ende des Drahtes meldet sich eine Dame und bittet, ihr einen Mechaniker zu schicken und diesem einen neuen Riemen für die Wäscheschleuder gleich mitzugeben, da der alte kaputt sei. Der Mann kam, aber ohne Riemen – „Was verstehen Frauen schon von Maschinen? Sicher ist es was ganz anderes“, hatte er noch zu seinem Kollegen gesagt, ehe er sich auf den Weg machte. Mit männlichem Selbstvertrauen untersuchte er die Schleuder, um schließlich zur gleichen Feststellung zu kommen wie die Dame des Hauses. Ungläubig schüttelte er den Kopf. In seinem Beruf hatte er immer nur mit Hausfrauen zu tun gehabt, die schon bei einer durchgebrannten Sicherung völlige Hilfslosigkeit zeigten. Aber woher sollte er auch wissen, daß er hier auf eine Frau getroffen war, die nicht nur die Ursache des Versagens ihrer Wäscheschleuder herausfand, sondern auch durchaus das Zeug dazu hatte, so ein Ding zu konstruieren? Erst später erfuhr er, daß Dorothy Simon, eben jene ungewöhnliche Hausfrau, deren ungemein anziehendes Äußere schon gar nicht auf irgendwelche technischen Ambitionen schließen ließ, eine der bedeutendsten amerikanischen Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der Raketentechnik und des Raumflugs ist.
Doktor Dorothy, wie sie zur Unterscheidung von ihrem ebenfalls als Wissenschaftler tätigen Mann Dr. Sidney Simon gerufen wird, arbeitet auf einem Gebiet, das noch fast völlig dem Mann vorbehalten ist. Es sei aber gleich hinzugefügt, daß sie dadurch weder zur streitbaren Amazone noch zu einer Imitatorin männlich-forschen Schaffens wurde. Mit ihrem zurückhaltenden, dabei so charmanten Wesen ist sie eine liebenswürdige und liebenswerte Vertreterin des weiblichen Geschlechts. Dies, gepaart mit einem bestens fundierten Fachwissen und einem bemerkenswerten Ideenreichtum, bringt ihr die uneingeschränkte Achtung und Wertschätzung ihrer männlichen Kollegen ein.
Die Öffentlichkeit – was in diesem Fall mehr oder weniger gleichbedeutend ist mit „die Presse“ – wurde erst im Jahre 1959 anläßlich der Einweihung der neuen Forschungsanstalt „Avco Corporation“ in Wilmington (Massachusetts) auf sie aufmerksam, als sie vor den geladenen Gästen, unter ihnen Nobelpreisträger, Kongreßmitglieder, Generäle und andere hochgestellte Persönlichkeiten, im Namen ihrer Wissenschaftlerkollegen eine kleine Rede hielt. Sie war maßgeblich an der Entwicklung der reibungshitzefesten Kegelspitze der THOR-ABLE-Rakete beteiligt gewesen, die man im Frühjahr 1959 zum ersten Mal über die ganze Flugstrecke erprobt und anschließend geborgen hatte.

In ihrem hellen, geschmackvoll in den Farben Beige, Koralle und Braun gehaltenen und mit den modernsten Utensilien ausgestatteten Arbeitsraum empfängt sie ihre Besucher und erzählt ihnen, sofern ihre Zeit es zuläßt, bereitwillig aus ihrem Leben und über ihren beruflichen Werdegang. Sie ist groß und schlank – mit der Figur eines Mannequins –, und wenn sie spricht, spiegeln ihre Züge und ihr Lächeln die Lebhaftigkeit ihres Wesens und ihre charmante Art wider.
„Über meine Arbeit möchten Sie etwas wissen? Nun, ich habe hier zwei Aufgaben zu erfüllen. In meiner Eigenschaft als technischer Assistent des Präsidenten der „Avco Corporation“, der selbst kein Wissenschaftler ist, gehe ich Ideen und Projekten, die an uns herangetragen werden, auf den Grund und berate ihn darin, ob sich unsere Firma damit befassen sollte oder nicht. Und zweitens arbeite ich hier auf bestimmten Gebieten der Grundlagenforschung völlig unabhängig und kann dabei eigenen wissenschaftlichen Plänen nachgehen.“
Nicht selten werden die Ideen der ersten Kategorie, die sie zu begutachten hat, bei den ungezwungenen Gesprächen geboren, zu denen sich an Sonntagen nach dem Frühstück – aber „zu einer zweiten Tasse Kaffee“ – regelmäßig Freunde und Bekannte bei den Simons einfinden. Die Arbeit in ihrem zweiten Aufgabenbereich gilt jedoch im wesentlichen der Konstruktion und Vervollkommnung von Raketen und Raketenabwehrwaffen. Ihr Hauptgebiet ist der Raketenantrieb. Sie ist einer der führenden Experten auf den Gebieten „Verbrennung“ und „Theorie der Flammenbildung“. Chemiker von Haus aus, hat sich Doktor Dorothy inzwischen völlig auf chemische Raketen spezialisiert, wenn auch ihre wissenschaftlichen Interessen weiter reichen und beispielsweise auch der Nutzung von Sonnenenergie oder dem medizinischen Instrumenten- und Gerätebau gelten.Die Wohnung der Simons liegt in einem neuen, modernen Villenviertel von Andover. Sie hat ein riesengroßes Wohnzimmer mit viel Licht und Glas und vier Schlafzimmer, von denen zwei in Arbeitsräume für Dorothy und Sidney umgestaltet sind. Warum ein so großes Haus für ein kinderloses Ehepaar? „Daran ist nur der große Flügel schuld“, erklärt Dorothy.

„Sidney spielt gerne Klavier, und für den Flügel brauchten wir einen großen Raum. Da es den aber nur in Wohnungstypen wie dem unseren gibt, haben wir eben das große Haus mit in Kauf genommen.“ Drei Jahre leben die Simons jetzt in Andover, wo sie sich ungemein wohl fühlen. Blumenzüchten im Freiland und Gärtnern ist die neueste Liebhaberei von Doktor Dorothy, die sie viel Zeit kostet, ihr aber auch viel Freude bereitet und Entspannung bringt. Denn der Arbeitstag von 8 Uhr morgens bis 17:30 Uhr nachmittags ist lange und anstrengend genug.
Die Freunde und Bekannten der Simons, zu denen keineswegs nur Wissenschaftler, sondern Menschen mit allen möglichen Interessen und aus den verschiedensten Berufsmilieus zählen, schildern die Ehe von Dorothy und Sidney als selten glücklich. „Es konnte ja auch gar nicht schiefgehen“, meint ein Nachbar, „beide sind verliebt in die Wissenschaft und ineinander außerdem.“
Die Liebe Dorothys zur Naturwissenschaft begann schon in der Schule, im Backfischalter von 13 Jahren, obgleich sie es sich als 17jährige nicht nehmen ließ, sich im Dichten zu versuchen. Am Southwest Missouri State College in Springfield (Missouri), wo ihr Vater Chemieprofessor war, war außerdem der Sport ihre große Stärke. Ihr Studium aber absolvierte sie an der Universität Chicago, dann an der Universität Illinois, wo sie gegen Kriegsende ein Lehramtsstipendium erhielt. Sie promovierte zum Dr. phil. Das neugebackene Fräulein Doktor bewarb sich bei der „E. I. Du Pont de Nemours and Company“ in Buffalo, wo sie das systematische, gezielte Arbeiten kennenlernen und schätzen lernte, wie es in der Industrie üblich und auch notwendig ist. Auf einer Chemikertagung in Chicago traf sie Sidney wieder, den sie schon auf der Universität kennengelernt hatte. Nach kurzer Zeit waren die beiden ein Paar. Sidney ging nach (…)

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Allgemeines“ vom 21.10.1960 unter dem Titel "Die Dame kennt ihre Raketen – Dr. Dorothy Simon ist einer der führenden Raumflugexperten der USA". Um den vollständigen Artikel zu lesen, klicken Sie bitte hier.

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