Neue Operette begeistert Amerika: Die Ballade von Baby Doe

Lesen Sie die Rezension von Norman Smith über die Uraufführung von "Die Ballade von Baby Doe" komponiert von Douglas Moore und des Librettisten John Latouche, in der Central City Opera Colorado 1956.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Ein Artikel von Norman Smith

New York – Eines der neuen Opernwerke Amerikas – von John Latouche geschrieben und Douglas Moore komponiert – heißt „The Ballad of Baby Doe“. Ein passender Titel. Der Akzent liegt nachdrücklich auf „Ballade“, denn die Oper steht geistig den erzählenden Volksballaden alter Zeiten nahe. Der Handlung liegt eine wahre Geschichte zugrunde. Die Charaktere sind die Menschen einer Vergangenheit, die frisch genug ist, daß viele der heute noch Lebenden sich an sie erinnern.

Die Ballade von Baby Doe berichtet von Horace Tabor, dem es vor 70 Jahren gelungen war, durch eine Kombination von Glück und Wagemut in den Silberminen von Colorado ein Vermögen anzuhäufen. Die Oper schildert, wie Tabor, als er bereits über 50 war, Elizabeth Doe, einer jungen Frau, die bei den Bergleuten als „Baby Doe“ bekannt war, begegnete und sich in sie verliebte; wie er sich von seiner Frau Augusta scheiden ließ, um Baby zu heiraten, wie er sein Vermögen verlor und ein kranker alter Mann wurde, wie Baby Tabor liebte ihn in seinem Unglück tröstete und seinem Andenken treu blieb, bis sie – ohne einen Pfennig und einsam – 35 Jahre später starb.
Das ist in groben Umrissen der Inhalt. Er ist, wie der Textdichter Latouche sagt, „düster, erdhaft, menschlich und rührend. Mit Protzerei, ja Vulgärität beginnend, endete das Leben aller drei – Tabor, Baby und Augusta – mit einer tragischen Würde, die, in dramatische Form zu bringen, sehr schwierig schien.“
Gerade weil es Komponist und Textdichter so gut gelungen ist, diese tragische Würde einzufangen, ragt „The Ballad of Baby Doe“ aus dem rein Erzählerischen heraus, um ein Werk von hohem Rang zu werden.
Von Anfang an stieß „Baby Doe“ auf besonderes Interesse, denn die ersten Vorstellungen wurden in diesem Sommer in Central City in Colorado gegeben – nur ein paar Meilen vom Schauplatz von Tabors Aufstieg und Niedergang entfernt. Einst blühender Mittelpunkt des Bergbaus ist Central City heute ein stilles Dorf mit 800 Einwohnern. „Haupterzeugnis“ sind die jährlichen Festspiele. Dann werden Bühnenstücke und Opern in dem alten Opernhaus aufgeführt, das vor 80 Jahren gebaut wurde, als der Silberminen-Boom seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Moore und Latouche bildeten ein gutes Team, um den Geist jener vergangenen Tage heraufzubeschwören. Latouche wurde im Alter von 20 Jahren mit seiner „Ballad for Americans“ berühmt. Als Lyriker, Schriftsteller und Textdichter war er fasziniert von der Idee, amerikanische Themen balladesk zu behandeln. Er war 38, als er das Libretto schrieb, das sich als das letzte seiner fruchtbaren Laufbahn erweisen sollte – denn kaum einen Monat nach der Premiere von „Baby Doe“ erlag Latouche einem Herzanfall. Mit der Zeit, denke ich, wird sein letztes Werk als eines seiner besten angesehen werden.
Douglas Moore, der 1893 – dem Jahr, in dem Horace Tabor sein Vermögen verlor – geboren ist, hat sich als Komponist wie als Musikprofessor an der New Yorker Columbia-Universität einen Namen gemacht. Es ist ungewöhnlich, einen Komponisten wie Moore zu finden, der mit keiner existenten Richtung in der Musik zu identifizieren ist. Er ist kein „nationaler“ Komponist – obwohl „Baby Doe“ und andere Werke zeigen, wie gut er Eigenheiten der amerikanischen Musik zu verwenden versteht. Er ist aber auch kein ultra-moderner und er ist kein romantischer Komponist – obwohl er mit den Techniken der einen wie der lyrischen Melodik der anderen Art gleichermaßen vertraut ist.
„Baby Doe“ ist Moores dritte Oper. Vorausgegangen sind „The Devil and Daniel Webster“, die sich auf die berühmte Geschichte von Stephen Vincent Benet gründet, und „Giants in the Earth“, die 1951 mit dem Pulitzerpreis für Musik ausgezeichnet worden ist.
John Latouche hat einmal beschrieben, wie Moore das Problem löste, eine Lyrik, die „notwendigerweise auf die Art Dialog beschränkt war, die Leute im Bergwerksgebiet führen“, in Musik auszudrücken. Latouche sagte: „Douglas Moore gab diesem ungeschliffenen Vorwurf dadurch Lebensnähe, daß er auf jedes Deklamieren verzichtete und das stimmliche Element in der Entwicklung der Handlung hervorhob. Es kam uns beiden zugute, daß er mit der Musik aufgewachsen ist, die um die Jahrhundertwende populär war. Walzer, Polkas, Märsche, Ragtime, Arien führen die Personen der Handlung ein und wandeln sich zu persönlicher Ausdruckskraft, je mehr die Charaktere sich gegen Ende der Oper nach innen kehren.
Das „stimmliche Element“ ist in dieser Oper, die an Arien reich ist, merklich bemerkenswert. (Es gibt sogar so etwas wie ein Kuriosum für eine Oper. Eine größere Arie wird von jemand gesungen, der keinen anderen Auftritt hat.)
Und die „The Ballad of Baby Doe“ der gewaltigen Schlußszene entgegenstrebt, in der Tabor im Delirium auf die Höhepunkte seines Lebens zurückblickt, erkennt man, daß dies wirklich große Oper ist.
Musikkritiker aus allen Teilen der Vereinigten Staaten reisten nach Central City, um „Baby Doe“ zu hören. Ihr Beifall war nicht weniger begeistert als der des Publikums. Die Aufnahme war derart, daß „Baby Doe“ in diesem Winter am Broadway gegeben werden wird – ein überzeugender Beweis für die Anziehungskraft dieses ungewöhnlichen Werks.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst "Allgemeines" vom 24.10.1956 unter dem Titel "Die Ballade von Baby Doe – eine neue amerikanische Oper". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: "Amerikas goldener Überfluss: Mais" oder "William Faulkners "Schall und Wahn" wird verfilmt", klicken Sie bitte hier.

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