Kosovo: NATO-Einsatz gibt Hoffnung auf Frieden
Lesen Sie einen Artikel geschrieben vom Nationalen Sicherheitsberaters Samuel R. Berger über Forderungen der NATO an Slobodan Milosevic, die das "letzte Kapitel" des Kosovokrieges besiegeln sollen.
(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)
Von Samuel R. Berger
Nachfolgend veröffentlichen wir einen Artikel des Nationalen Sicherheitsberaters Samuel R. Berger, der erstmals in „The Washington Post“ vom 21. Oktober 1998 erschien. Copyright: The Washington Post, 22.10.1998
In der vergangenen Woche zwang die Bereitschaft der NATO zum Einsatz von Gewalt im Kosovo, Slobodan Milosevic, den Forderungen der internationalen Gemeinschaft zuzustimmen. Die von ihm eingegangenen Verpflichtungen werden – wenn er sie vollständig erfüllt – die humanitäre Krise im Kosovo mildern und wichtige Ziele der Vereinigten Staaten umsetzen. Einige haben im Nachhinein in Frage gestellt, was die internationale Gemeinschaft gewonnen hat. Das endgültige Ergebnis werden wir erst in den kommenden Tagen kennen, wenn wir feststellen, ob Milosevic seinen Worten Taten folgen läßt. Aber einige erste Schlußfolgerungen sind klar:
Die von Milosevic gemachten Zusagen erfüllen die von uns gesetzten Ziele. Die internationale Gemeinschaft hatte im Kosovo drei übergeordnete Ziele: Die Beendigung der Gewalt, die sich auf Nachbarländer ausweiten und die zerbrechliche Stabilität auf dem Balkan bedrohen könnte. Zu verhindern, daß die humanitäre Krise zu einer Katastrophe wird durch Beendigung der Unterdrückung der Kosovo-Albaner und Gewährleistung der sicheren Rückkehr der Vertriebenen in ihre Dörfer. Die Rückführung der Kosovaren auf den Weg zu Autonomie, indem Milosevic zu friedlichen Verhandlungen mit ihnen gezwungen wird.
Die von Milosevic eingegangenen Verpflichtungen erfüllen alle drei Ziele. Er hat der vollständigen Einhaltung von Resolution 1199 des UN-Sicherheitsrats zugestimmt, die fordert, daß er den Waffenstillstand aufrechterhält, vor kurzem stationierte Streitkräfte und Spezialeinheiten aus dem Kosovo abzieht, die übrigen in die Kasernen verlegt und den Mitarbeitern humanitärer Hilfsorganisationen uneingeschränkten und unverzüglichen Zugang zu den Notleidenden gewährt. Und er hat einem speziellen Zeitplan für den Abschluß der Gespräche mit den Kosovo-Albanern zugestimmt, die ihnen demokratische Wahlen, eine autonome Regierung und ihre eigene Polizei vor Ort zugestehen werden – mit anderen Worten, Rechte, die sie gefordert haben, seit Milosevic sie im Jahr 1989 ihrer Autonomie beraubte. Nur durch eine politische Lösung, die zum Abzug der Kräfte der Unterdrückung und echter Autonomie führt, kann es eine Chance für Stabilität im Kosovo geben.
Der Beweis zeichnet sich ab. Wie Präsident Clinton klargemacht hat, sind Zusagen nicht dasselbe wie Einhaltung. Aus diesem Grund forderte die internationale Gemeinschaft – und Präsident Milosevic hat dieser Forderung zugestimmt – eine beispiellose internationale Präsenz, der er sich bisher vehement widersetzt hatte: Ein äußerst eingehendes Verifikationssystem am Boden und in der Luft. Dazu zählen 2.000 internationale Beobachter im Kosovo, die als „Wachhunde“ fungieren um sicherzustellen, daß der Waffenstillstand eingehalten wird, die serbischen Streitkräfte abziehen und gleichzeitig unter den Kosovaren Vertrauen in eine Rückkehr in ihre Dörfer aufgebaut wird. Und das wird eine umfassende Luftüberwachung durch die NATO beinhalten – die die NATO mit nur einer Stunde Vorankündigung in die Wege leiten kann – um die Einhaltung zu überwachen und Verletzungen schnell aufzudecken.
Die Verifikationsteams werden von der 54 Nationen umfassenden Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit im Europa zusammengestellt und von Botschafter Bill Walker geleitet – einem außerordentlich erfahrenen amerikanischen Diplomaten. Sie werden von einer Eingreiftruppe der NATO unterstützt um zu gewährleisten, daß sie gegebenenfalls sicher abgezogen werden können. Und wir haben gegenüber Präsident Milosevic klargestellt, daß er mit den schwerwiegendsten Konsequenzen zu rechnen hat, wenn seine Truppen versuchen, internationalen Beobachtern oder Mitarbeitern humanitärer Hilfsorganisationen Schaden zuzufügen oder sie als Geiseln zu nehmen. Die ersten regulären Überflüge mit U-2 und anderen Aufklärungsflugzeugen haben an diesem Wochenende begonnen.
Bisher hat es zwar keine vollständige, aber doch eine gewisse Einhaltung in vier Schlüsselbereichen gegeben. Erstens hat der Waffenstillstand im Großen und Ganzen zwei Wochen lang gehalten, trotz gelegentlicher Gefechte zwischen serbischen Sicherheitskräften und der Kosovo-Befreiungsarmee.
Zweitens sind die meisten humanitären Hilfsorganisationen wieder so zahlreich im Kosovo wie vor dem Abzug, bei minimaler Einmischung der serbischen Behörden. Viele beabsichtigen eine Erhöhung ihrer Präsenz. Acht Konvois mit humanitären Hilfsgütern – darunter Nahrungsmittel, Kleidung und Medikamente – sind bereits im Kosovo eingetroffen.
Drittens ist die Polizeipräsenz der Serben weniger allgegenwärtig. Aber bis heute ist Milosevic im Hinblick auf dem Abzug der bei Beginn der Krise im Kosovo stationierten Streitkräfte und den Abzug seiner Sonderpolizei noch nicht schnell genug weit genug gegangen. Es gibt Gründe für den Verbleib einiger Streitkräfte im Kosovo, um die Sicherheit der Grenzen zu gewährleisten – aber keine Rechtfertigung für die Streitkräfte, die zur Unterdrückung der albanischen Bevölkerung eingesetzt werden. Der Oberbefehlshaber der NATO, General Wesley Clark, hat Präsident Milosevic eine detaillierte Liste von Militär- und Polizeieinheiten gegeben, die er abziehen oder in Kasernen verlegen muß.
Anhand der Luftüberwachung und der Berichte von Beobachtern vor Ort wird die NATO entscheiden, ob Milosevic diese Vorgabe einhält.
Viertens sind infolge des sich verbessernden, aber immer noch unzulänglichen Sicherheitsumfelds zwischen 15.000 und 35.000 Vertriebene aus den Bergen in ihre Dörfer zurückgekehrt und so der tödlichen Gefahr eines Winters ohne Unterkunft entkommen. Aber eine große Zahl von Flüchtlingen – rund 35.000 – sind immer noch in Gefahr. Unter der Voraussetzung, daß der Waffenstillstand hält und Milosevic seine Verpflichtungen zur Verbesserung der Sicherheitslage erfüllt, mehr Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Beobachter ins Land kommen und mehr serbische Streitkräfte abziehen, sollte sich das Vertrauen der verbliebenen Flüchtlinge erhöhen – und die meisten von ihnen werden aus der Kälte in ihre Dörfer zurückkehren können.
Die NATO muß weiterhin zum Handeln bereit sein, wenn Milosevic es nicht tut. Um weiter Druck auf Milosevic auszuüben, seine Verpflichtungen einzuhalten, hat die NATO den Finger am Abzug: Der Aktivierungsbefehl zum Einsatz von Gewalt ist weiterhin in Kraft, aber bis zum 27. Oktober ausgesetzt, während wir die Einhaltung durch Präsident Milosevic prüfen und bewerten. Wenn er bis zu diesem Datum keine maßgeblichen Fortschritte gemacht hat, kann die NATO mit den Luftangriffen beginnen, um die Einhaltung zu erzwingen und Milosevics Fähigkeit zur Durchführung seiner Unterdrückungskampagne gegen die Kosovo-Albaner zu beeinträchtigen.
Die letzten Kapitel der Kosovo-Krise müssen noch geschrieben werden. Aber dank der starken Haltung der NATO gibt es eine Chance, das Leid und die Unterdrückung zu beenden – und die Region auf den Weg zu Frieden zu bringen.
Dieser Artikel erschien im Amerikadienst vom 04.11.1998 unter dem Titel "Eine Chance für Frieden". Für weitere Artikel dieser Ausgabe, wie: „Die Bedeutung der euroatlantischen Partnerschaft für das 21. Jahrhundert“, oder „Unterdrückung der Presse durch Milosevic muss aufhören“, klicken Sie bitte hier.