Gefahrenzone Kaufhaus: Über die Zerstreutheit der Kunden
1949 musste man seine Kunden hin und wieder noch vor sich selbst beschützen: Nahezu jedes größere Kaufhaus besaß einen "Sicherheitsrat", um die Unachtsamkeit ihrer Käufer zu keiner Gefahr werden zu lassen. Von Stolperfallen bis zum Verlust von Wertgegenständen – Warenhausdirektoren investierten mehrere Tausend Dollar in den Schutz ihrer Kundschaft.
(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)
Wohl allen Warenhausdirektoren macht die Unachtsamkeit und Vergesslichkeit ihrer Kunden Kopfzerbrechen. Amerikanische Firmen geben alljährlich Tausende Dollar aus, um die Käufer vor den Folgen ihrer eigenen Gedankenlosigkeit zu schützen.
So hat z.B. jedes größere Kaufhaus einen „Sicherheitsrat“, dessen Aufgabe es ist, für andere zu denken. Das große New Yorker Warenhaus Macy's beginnt mit der Überwachung schon ausserhalb des Geschäftes. So wird z.B. der Gehsteig regelmäßig kontrolliert, ob nichts dort liegt, worüber man stolpern oder rutschen könnte.
Und bei den Aufzügen passt stets jemand auf, dass die Käufer nicht einander die Türen auf die Nase fallen lassen. In der Bekleidungsabteilung mussten alle Kleiderpuppen am Boden festgenagelt werden, weil sie sonst umgerannt würden.
„Gnädige Frau, Ihr Paket!“ - Tausendmal im Tag rufen die Verkäufer diese Worte einer vergesslichen Dame nach. Manche Firmen stellen ihren Kindern versperrbare Fächer zur Verfügung, in denen sie ihre Sachen aufbewahren können, während sie im Haus einkaufen.
Es sieht so aus, als ob die Käufer nur danach trachteten, sich, wenn es nur irgend möglich ist, irgendwo zu schneiden, zu stechen oder zu verbrennen, obwohl alle Preiszettel so befestigt sind, dass man sich auf keinen Fall an der Klammer ritzen kann. In der Hauswirtschaftsabteilung sind die Tafeln „Nicht berühren!“ an allen Gegenständen angebracht. Apparate, die an Ort und Stelle vorgeführt werden, stellt man vorsorglich in Nischen hinein. Trotzdem greifen immer wieder einige Kunden nach ihnen und verbrennen sich am heissen Dampf oder schneiden sich an den Gemüseputzmaschinen.
Nicht einmal beim Hutkauf sind die Kunden sicher. Viele Damen ziehen die Hutladen mit soviel Schwung heraus, dass sie ihnen auf die Füsse fallen. Man hat daher jede Lade mit einer Sperrvorrichtung versehen, sodass sie nicht herausfallen kann.
Lässt man sie los, läuft sie von selbst zurück schließt sich aber nicht völlig – damit es keine eingezwickten Fingerspitzen gibt.
Gummibänder, Blumenblätter und Bleistifte müssen stets aus dem Weg geräumt werden, denn Kunde A verstreut diese Dinge auf der Stiege – B kommt daher, den Kopf in den Wolken, und tritt unweigerlich darauf. Die Schwerkraft besorgt den Rest …
Aus diesem Grunde gibt es in einem New Yorker Warenhaus eine eigene „Blumenblätter-Bleistift-Gummiband-Brigade“, die regelmässig alle Stiegen zu überprüfen hat.
Detektive und Aufseher gehen ständig herum und flehen die Käufer an, ihre Börsen nicht offen zu lassen, nicht mit dem Regenschirm herumzufuchteln – und den Hund zu tragen, wenn sie ihn schon unbedingt auf die Rolltreppe mitnehmen müssen! Gibt es eine Erklärung für diese Vergesslichkeit? Zwei Ärzte von der medizinischen Fakultät der Universität von Kalifornien, Dr. J. Ruosch und Dr. Karl Bowman, sind der Ansicht, dass vergessliche und gedankenlose Leute nicht nur äusserlich, sondern innerlich mit ihrer Umgebung nicht zurechtkommen. Oft ist eine Nervenkrankheit die Ursache der Zerstreutheit, oft persönliche Sorgen und oft ist das „Träumen“ eine Folge der Veranlagung.
Alle diese Leute sind es, die „Sicherheitsprogramme“, Verkehrserziehung und ähnliches nötig machen. Erst wenn alle Leute mit ihren Gedanken bei der Sache sind, wird der Kampf gegen die Unfälle aus Vergesslichkeit ein Ende haben – aber darauf können wir gut tausend Jahre noch warten.
Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Für die Frau“ vom 31.10.1949 unter dem Titel "Gnädige Frau – ihr Paket! – Von der Zerstreutheit der Menschen". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Kinderschuhe müssen passen“ oder „Die Frauen und die UN – Wissen kann Gefahren bekämpfen“ , klicken Sie bitte hier.
(Anmerkung: Die verlinkte PDF beginnt mit einem englischen Inhaltsverzeichnis. Für das deutsche Inhaltsverzeichnis blättern Sie einfach weiter auf S. 2)