Frauen in schwindelerregender Höhe

Ihr Arbeitsplatz befindet sich in schwindelerregender Höhe, aber da, wo manch einer die Nerven zu verlieren droht, strotzt sie den Strapazen ihres Berufsalltags mit unbezwingbarer Heiterkeit: die Stewardess der USA um 1956. „Wenn ein junges Mädchen mutig genug ist, sich so einer fliegenden Maschine anzuvertrauen, warum sollten wir es dann nicht auch tun?“
 
– Ellen Church, erste Flugbegleiterin weltweit.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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San Francisco – Die Leute werden sagen: „Wenn ein junges Mädchen mutig genug ist, sich so einer fliegenden Maschine anzuvertrauen, warum sollten wir es dann nicht auch tun?“ – mit diesem Argument überzeugte vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren Ellen Church, eine junge, unternehmungslustige Krankenschwester aus San Francisco, die Chefs der Luftfahrtgesellschaft „Boeing Air Transport“ von der Notwendigkeit, die Fluggäste durch Stewardessen begleiten und betreuen zu lassen.
Ende 1930 nahmen Fräulein Church und sieben weitere Wolkenmädchen auf der Linie New York-Chicago ihren luftigen Job auf. Ihr Dress: die nach damaliger Mode über die Ohren und in die Augen gezogenen Baretts nebst Capes aus Ballonseide, die auf den heutigen Beschauer ausgesprochen komisch wirken mögen, damals aber sicher als überaus modern empfunden wurden.
Die neue Einrichtung fand die Zustimmung der Passagiere und wurde bald von den anderen Luftfahrtgesellschaften übernommen. Heute gibt es etwa zehntausend amerikanische Luftstewardessen. Doch nicht nur was ihre Zahl anbelangt hat dieser neue Beruf an Bedeutung gewonnen: während die ersten Wolkenmädchen, sofern sie sich nicht selbst gewisse navigatorische und geographische Kenntnisse aneigneten, lediglich der Bequemlichkeit der Reisenden dienten, hat die moderne amerikanische Stewardess eine exakte und gründliche Schule zu durchlaufen, um den Fahrgästen jede mögliche Auskunft erteilen und gegebenenfalls auch praktisch mit Rat, Tat und Hilfe nützlich sein zu können.
Der Lehrplan der von den Luftverkehrslinien unterhaltenen Schulen umfasst alle erdenklichen Fächer von der Geographie der Flugrouten, den Funkcodes und der Wetterkunde bis zur Kenntnis der wichtigsten technischen Sicherheitsvorrichtungen. Die üblichen Pflichten der Stewardess nehmen, da sie sich zum großen Teil von selbst verstehen, in diesen meist fünf Wochen dauernden Kursen den geringsten Raum ein. Hier wird den angehenden Stewardessen klar gemacht, dass ihr Beruf nicht nur interessante Reisen und Begegnungen verheißt, sondern auch einen überdurchschnittlichen Einsatz und überdurchschnittliche Fähigkeiten verlangt. Auf den großen Überseerouten kann man mit einer durchgehenden Dienstzeit von anderthalb Tagen rechnen, während deren die Stewardess fast ständig auf den Beinen sein muss. Allerdings ist die Arbeitszeit auf Grund von Abmachungen mit den Gewerkschaften maximal auf 80 Flugstunden im Monat festgesetzt.
Die Stewardess begrüßt die Passagiere an Bord, führt sie zu ihren Plätzen, hängt ihre Mäntel auf, nimmt ihre Namen und Bestimmungsorte auf, erklärt den Gebrauch der Sitzgurte bei Start und Landung, schaltet die Platzlampen aus und ein, beantwortet alle den Flug betreffende Fragen, kommt allen Wünschen nach, sorgt für Lektüre, Decken und Pillen gegen Luftkrankheit, serviert die Mahlzeiten beruhigt aufgeregte Leute, die zum ersten Mal fliegen, plaudert mit Fahrgästen, die sich offensichtlich einsam fühlen, beschäftigt sich angelegentlich und geduldig mit den Kindern und wärmt das Fläschchen für die ganz Kleinen. Bei diesem Dienstplan versteht es sich von selbst, dass die „Gastgeberin“ jeden Schritt und jeden Handgriff zu bedenken hat.
Sie muss ungeheuer rasch und umsichtig arbeiten, ohne einen gehetzten Eindruck zu machen. So zum Beispiel müssen zwei Stewardessen zwischen Chicago und Detroit sämtlichen Passagieren das Mittagessen innerhalb einer Stunde servieren.
Und natürlich müssen Stewardessen stets bei bester Laune sein, auch dann, wenn der Fahrgast es nicht sein sollte, oder wenn man die verrücktesten Ansinnen an sie stellt.
Die Sache bringt es mit sich, dass eine Stewardess sich oft auch mit außergewöhnlichen Situationen auseinanderzusetzen hat, sei es daß man einer jungen Mutter irgendwo mehrere Tausend Meter über Alaska zu ihrem ersten Kindchen verhilft – viele Stewardessen sind, wie Ellen Church, auch ausgebildete Krankenschwestern – oder sei es, daß man Clark Gable Gesellschaft leiten muß, der sich einsam fühlt, weil kein Passagier neben dem Halbgott Platz zu nehmen wagt. Der Beruf der Stewardeß ist übrigens die sicherste Heiratsvermittlung. Neunzig Prozent dieser Mädchen werden von Passagieren weggeheiratet, so daß die durchschnittliche Dienstzeit der Stewardeß kaum zwei Jahre beträgt. Es ist wohl kaum notwendig, darauf hinzuweisen, daß sie alle ausgezeichnete Hausfrauen abgeben. Aber auch die, die ledig bleiben, haben das nicht zu bereuen. Es gibt keinen zweiten Frauenberuf, der die Möglichkeit bietet, im wahrsten Sinne des Wortes die Welt kennenzulernen, in allen Kontinenten zu Hause zu sein. Die Anstellungsbedingungen sind ziemlich rigoros. Höhere Schulbildung, einige Jahre College, sowie zwei oder drei Jahre Berufspraxis im Umgang mit Publikum sind Voraussetzung. Außerdem ist ein Gewicht von 100 bis 135 englische Pfund sowie eine Größe, die 1,70 m nicht überschreitet, vorgeschrieben. Gutes Aussehen, Charme und Manieren sind selbstverständlich.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Für die Frau“ vom 01.02.1956 unter dem Titel "Die Wolkenmädchen – 25 Jahre Luftstewardessen in den USA". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Die demokratische Erziehungsform“, oder „Preisträger: Franklin, der Rabe“, klicken Sie bitte hier.

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