Eine weibliche Reporterin erobert die Wissenschaftsreportage

Gladys Montgomery hat sich gänzlich der wissenschaftlichen Reportage verschrieben. Bereits in ihren College Jahren war ihr bewusst, dass sie keinen der üblichen "Frauen-Berufe" der 50er Jahre ausüben wollte. Lesen Sie über einen Karriereweg, der für diese Zeit außergewöhnlich war.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Kennen Sie FOSDIC? Nun, FOSDIC ist eine neue elektronische Maschine, die die Arbeit von Hunderten von Hollerith-Arbeitern zu leisten vermag. Sie macht es beispielsweise möglich, die Auswertung sämtlicher bei der nächsten amerikanischen Volkszählung im Jahre 1960 gesammelten Angaben durch elektronische Großrechenanlagen von mehreren Monaten auf wenige Wochen zu verkürzen. Die Maschine, die ihren Namen aus den Anfangsbuchstaben von „Film Optical Sensing Device for Input to Computers“ (filmoptischer Abtaster für Daten zur Eingabe in Rechenmaschinen) herleitet, ist eine Erfindung von Wissenschaftlern und Ingenieuren der amerikanischen Bundesanstalt für Materialprüfung und Technische Normen in Washington. In den technischen Fachzeitschriften des amerikanischen McGraw-Hill-Verlags/ New York wurde darüber berichtet – von einer Frau.
Gladys Montgomery, Verfasserin jenes Artikels und einer Vielzahl anderer Arbeiten über neueste Entwicklungen auf dem noch recht jungen und doch so ungeheuer vielseitigen Wissenschafts- und Industriezweig der Elektronik ist die geborene Reporterin. Sie steht ganz im Banne der ihr gestellten Aufgabe und scheut keine Mühe, auch über die kompliziertesten technischen Dinge und Themen so zu schreiben, daß selbst der Fachmann nicht nur kein Haar in der Suppe findet, sondern den Artikel auch mit Interesse liest.
Man weiß von ihr, daß sie als College-Girl beim Pläneschmieden mit den Kameradinnen nicht viel Geschmack an der Aussicht fand, Lehrerin oder Wohlfahrtspflegerin oder eben sonst etwas zu werden, was normalerweise in die Kategorie der am häufigsten gewählten Frauenberufe fällt. „Ich wollte etwas anderes tun – aber daß es so verschieden von den üblichen Berufen sein würde, ahnte ich natürlich nicht.“
Heute möchte die zarte blonde Frau mit niemandem mehr tauschen. Gerade auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Reportage sieht sie ein ungeheuer zukunftsreiches und vielseitiges Betätigungsfeld auch für die Frau. Dabei gibt sie persönlich das beste Beispiel dafür, daß eine Frau durch die Ausübung einer Tätigkeit, die man eher dem Mann zuerkennt, keineswegs etwas von ihrem Charme oder ihrer Warmherzigkeit aufgeben muß. Seit zwei Jahren Witwe, teilt sie heute ihre Zeit zwischen ihrer beruflichen Arbeit und ihren Freunden. Sie liebt die Geselligkeit im eigenen Heim – auch die damit verbundenen Mühen, und sie ist eine bezaubernde Gastgeberin.
Wie Mrs. Montgomery selbst erzählt, ist sie in den von ihr mit Begeisterung ausgeübten Beruf regelrecht „hineingestolpert“, und zwar als Mitarbeiterin des Washingtoner Büros des McGraw-Hill-Verlags. „Elektronik war ein Ressort ohne Sensationen, als ich im Jahre 1942 meine Arbeit dort begann. Keiner der männlichen Kollegen wollte sich damit befassen – und da ich damals die einzige Frau unter den Redaktionskollegen war, bekam eben ich den Schwarzen Peter.“

Ihr erster Auftrag war eine Reportage über den Mißbrauch von Patenten auf dem Gebiet der Elektronik. Sie arrangierte hierzu Interviews mit dem amerikanischen Justizminister und dem Direktor des Patentamtes – mit dem Erfolg, daß beide die „Anfängerin“ nach Erscheinen der Reportage zu der Darstellung beglückwünschten. Bald wurde Gladys Montgomerys Name auch in das Impressum der Zeitschrift „ELECTRONICS“ als Berichterstatter für Washington aufgenommen. Stolz schickte sie das erste Exemplar ihrer Mutter, die den ernüchternden Kommentar dazu gab: „Ich meine, du könntest in Washington leicht etwas Besseres finden!“
Schon wenige Jahre später hätte dieser Kommentar bestimmt anders gelautet. Denn „Elektronik“ beherrscht nun schon seit geraumer Zeit die Schlagzeilen, ob es sich um einen Bericht über moderne Schiffs- und Flugnavigation, Raketensteuerung und Waffensysteme, um die Automation, um winzige Hör- und Sehhilfen für Kranke oder um riesige Rechengeräte handelt.
Während ihrer 12jährigen Tätigkeit als Washingtoner Mitarbeiter für „ELECTRONICS“ war Gladys Montgomery auch sechs Jahre lang Berichterstatter für die Zeitschrift „NUCLEONICS“, die erste Publikation für Kernenergie, die in den Vereinigten Staaten herausgegeben wurde. Diese erscheint im gleichen Verlag und wurde im Jahre 1948 als ein Fachorgan für Kernchemie und Kernphysik gegründet. In den letzten Jahren verlagerte sich bei dieser Zeitschrift das Schwergewicht vom Wissenschaftlichen jedoch immer mehr auf das rein Technische. Dieser Umstand veranlaßte Mrs. Montgomery, ihre Beiträge dafür zugunsten von „ELECTRONICS“ aufzugeben, da diese Monatszeitschrift inzwischen in eine Wochenzeitschrift umgewandelt worden war, um mit der Entwicklung in der rasch sich ausweitenden Industrie der Elektronik einigermaßen Schritt halten zu können.
Und da es wohl niemanden gibt, der über alle Fortschritte auf den zahlreichen Sektoren auf dem laufenden sein kann, teilt sich Gladys Montgomery heute mit einer Anzahl anderer wissenschaftlicher Berichterstatter darein, regelmäßig Beiträge zu liefern, die unter anderem auch in „BUSINESS WEEK“, einer ebenfalls vom McGraw-Hill-Verlag herausgegebenen Zeitschrift erscheinen.

Welches Geheimnis steckt nun eigentlich hinter dem Erfolg dieser Frau, die doch keinerlei akademische Vorbildung auf naturwissenschaftlichem Gebiet besitzt? Mrs. Montgomery selbst gibt eine sehr einfache Antwort auf diese Frage „Ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, niemals zu bluffen. Von Anfang an ging ich, wenn ich irgendeinen Reportage-Auftrag bekam, stets zum zuständigen Fachmann. Ich sagte ihm, daß ich ein Reporter sei, der exakt berichten wolle und ihn daher um die notwendigen technischen Auskünfte bäte; ich könne ihm garantieren, daß der betreffende Artikel, den ich auf Grund solcher Unterlagen schriebe, technisch gesehen hieb- und stichfest sein werde.“
Wenn Gladys Montgomery der Ansicht ist, daß ihre Art der Berichterstattung nicht genügt, um irgendeinen technisch sehr komplizierten Stoff sachgemäß darzustellen, empfiehlt sie, einen Wissenschaftler für die Ausarbeitung des Artikels heranzuziehen. Eine ihrer großen Stärke ist, daß sie weiß, wo ihre Grenzen sind. „Man darf nie vergessen, daß man Berichterstatter ist, so erklärt sie; „sobald man sich für einen Experten hält, ist man schon erledigt.“

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Allgemeines“ vom 07.09.1958 unter dem Titel "Unter dem Zauber des geschriebenen Worts". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Prokofieffs „Peter und der Wolf“ im amerikanischen Fernsehen“, oder „Lenkflugkörper mit vierfacher Schallgeschwindigkeit“, klicken Sie bitte hier.

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