Ein Hauch Berliner Luft im kalifornischen Monterey

Heute lernt ein Großteil der Weltbevölkerung Englisch als Zweitsprache, aber was lernen englische Muttersprachler? In den 1950ern Jahren an der U.S. Army Language School ist Deutsch die zweit wichtigste Sprache in der Ausbildung. Wieso das so ist und wie es deshalb dazu kommen kann, dass jemand, der noch nie in Deutschland war, interessiert nach den neusten Schnäppchen am Kurfürstendamm fragt, das erfahren Sie in dieser Ausgabe des Amerikadienstes.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

Illustrationen

Schlendert man als Berliner gelegentlich durch das reizende Monterey in Kalifornien und gibt man sich im Gespräch mit Amerikanern als Bewohner der Stadt an der Spree zu erkennen, so kommt es vor, daß einen der Gesprächspartner lächelnd fragt, was denn zur Zeit auf dem Kurfürstendamm los sei, was es auf der Tauentzin gerade günstig zu kaufen gäbe und ob das Nachtleben von Berlin noch immer so munter sei.
Erfreut, einen ehemaligen Landsmann oder einen alten „Berlin-Amerikaner“ vor sich zu haben, fragt man, wann er denn zuletzt in Berlin gewesen sei, und erfährt zu seinem Erstaunen, daß er Berlin noch nie betreten habe. Wenn er dann auch noch anfängt Deutsch zu sprechen – und dies gar nicht schlecht – und verrät, daß er auch sonst noch nirgendwo in Deutschland war und auch auf keine deutschen Vorfahren zurückblicken kann, wird er vollends zu einem Rätsel.
Doch die Lösung ist denkbar einfach. Er ist Schüler der U.S. Army Language School, der Sprachenschule der amerikanischen Armee, die gleich hinter der Montereyer „Straße der Ölsardinen“, die John Steinbeck in einem seiner Bücher so lebendig beschrieb, auf dem Presidio von Monterey gelegen ist. Im Jahre 1941 gegründet und 1946 nach Monterey verlegt, unterrichtet sie alljährlich eine stattliche Zahl von uniformierten Schülern in 29 Sprachen, unter denen Deutsch an zweiter Stelle steht. Hat man Gelegenheit, einmal die Deutschklassen zu besuchen, so staunt man über das, was die Offiziere und Soldaten alles über unsere Stadt wissen und mit welchem großen Interesse sie weitere Fragen stellen und sich mit Berliner Problemen befassen. Nicht allein, weil Berlin geographisch und politisch zur Zeit eine interessante Stadt ist. Mehrere der 26 Deutschlehrer sind alte Berliner, denen es immer wieder ein Bedürfnis ist, ihren Schülern von Berlin zu erzählen und auf diese Weise den Unterricht so lebendig wie möglich zu gestalten.

Über 500 Lehrer aus 38 verschiedenen Ländern in allen Teilen der Erde sind in der Sprachenschule zusammengekommen, um Amerikanern ihre Muttersprache zu vermitteln. Viele von ihnen haben bereits Erfahrungen aus ihrer Lehrtätigkeit an amerikanischen und ausländischen Universitäten. Andere jedoch – unter ihnen ehemalige Minister, Diplomaten, Offiziere und Angehörige verschiedener akademischer Berufe aus drei Dutzend Ländern – haben in Monterey zum ersten Mal vor einer Klasse gestanden und sich als Lehrer bewährt.
Immer wieder wird größter Wert darauf gelegt, daß die Lehrer ihrer Heimat und ihrer Muttersprache noch nicht zu sehr entfremdet sind, denn die Betonung liegt an dieser Schule auf dem gesprochenen Wort. Erst dann kommen Lesen und Schreiben. Jeder Schüler soll möglichst akzentfrei die Sprache des Mannes auf der Straße erlernen.
Je nach Schwierigkeitsgrad der zu erlernenden Sprache stehen ihm dazu 24 oder 47 Wochen zur Verfügung. Bei einigen Sprachen wird die Grundausbildung durch einen Fortgeschrittenenkursus ergänzt und beträgt insgesamt 74 Wochen.
Zu all dem stehen nicht nur erstklassige Lehrkräfte, sondern auch eine Bibliothek mit 10 000 Büchern, ein Zeitungsarchiv, moderne technische Einrichtungen wie Tonbandgeräte, Schallplatten, Filme und ein eigener kleiner Rundfunksender zur Verfügung, der innerhalb der Schule tägliche Nachrichtensendungen in allen dort gelehrten Sprachen ausstrahlt.
Jede Klasse besteht aus höchstens acht Schülern, die täglich acht Stunden eifrig studieren und alle Stunde ihren Lehrer wechseln, um sich bereits auf diese Weise an die individuell verschiedene Aussprache ein und derselben Sprache zu gewöhnen. Das Ohr bildet die Grundlage der ganzen Sprachausbildung. Im Anfangsstadium sprechen die Schüler nur die Sätze des Lehrers nach und lernen dadurch korrekte Aussprache und Betonung. Unterstützt wird dieser Unterricht durch Schallplatten, die der Schüler mitbekommt, und durch in den Lehrbüchern enthaltene graphische Darstellung der Sätze, denen fremdsprachliche Texte gegenüberstehen. Im gesamten Unterricht wird kein englisches Wort gebraucht und jedes neue Wort der fremden Sprache durch andere, bekannte Wörter in dieser Sprache erklärt. Alle zwei Wochen finden Prüfungen statt, um den Leistungsstandard der Schüler zu ermitteln, und am Ende steht natürlich wie überall eine Abschlussprüfung.

Die Sprachenschule der amerikanischen Armee begann 1941 mit fünf Lehrern und 60 Schülern. Heute betreut sie zirka 2000 Schüler und hat ein umfangreiches Ausbauprogramm in Angriff genommen. Die neuen Gebäude werden Fernseh- und Simultandolmetschanlagen enthalten und die Schule zu einer der modernsten Bildungsstätten der Welt machen.
Bei der kürzlichen Grundsteinlegung für zwei neue Gebäude wurde auch ein Dokument eingemauert, das in knappen Worten die Bedeutung der Schule unterstreicht: „Da Misstrauen und Konflikte in den Gehirnen der Menschen entstehen, muß dort die Grundlage des Verständnisses geschaffen werden. Das Lehren fremder Sprachen spielt bei der Erweckung des notwendigen Verständnisses eine große Rolle, denn seit dem Tage, da der Mensch zum ersten Mal seine Empfindungen in Worte umzusetzen vermochte, war die Sprache der wichtigste Faktor in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Wir studieren die Sprachen unserer Nachbarn, damit wir ihre Gedankenwelt erfassen und durch sie unsere Nachbarn kennen und verstehen lernen“.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Allgemeines“ vom 12.06.1957 unter dem Titel "In Kalifornien spricht man vom Kurfürstendamm – die Sprachschulen der US-Army in Monterey". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Bundeshilfe – Ja oder Nein?“, oder „Neues Gerät zur Bestimmung des Blutvolumens“, klicken Sie bitte hier.

Ein Hauch Berliner Luft im kalifornischen Monterey