Edward M. Bernstein über die Weltwirtschaft der Nachkriegszeit

"Wie hätte die Welt ausgesehen, hätte sich die Sowjetunion 1948 dem Marshall-Plan angeschlossen?" Lautet eine der Fragen, die in dem Interview zwischen dem US-Wirtschaftsexperten Edward M. Bernstein und dem US-Informationsamt in Washington diskutiert wurden. Lesen Sie im Amerikadienst Artikel vom 15.05.1985 den Wortlaut des Interviews über die Entwicklung zur Weltwirtschaft der Nachkriegszeit.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Washington – Das Handels- und Währungssystem der Nachkriegszeit, das im Frühjahr 1945 auf der Wirtschafts- und Währungstagung von Bretton Woods geschmiedet wurde, hat seine Teilnehmer in den seither vergangenen 40 Jahren nicht nur zum Widerstand gegen die kommunistische Aggression befähigt, sondern ihnen auch einen wirtschaftlichen Aufstieg sondergleichen ermöglicht: Dies betonte der ehemalige Unterstaatssekretär im US-Finanzministerium und Forschungsdirektor des Internationalen Währungsfonds, Edward M. Bernstein, in einem Interview mit einem Vertreter des US-Informationsamtes in Washington.
Edward M. Bernstein gehörte einst als Direktor der Abteilung Geld im US-Finanzministerium selbst zu den Architekten des Systems von Bretton Woods. „Aufgabe der Demokratien ist es heute,“ so meinte Bernstein, „ihre gesamte wirtschaftliche, soziale und politische Stärke zu mobilisieren, und ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, sich von niemandem ihre Rolle in der Wirtschaft von heute verwehren zu lassen. Das Interview mit Edward M. Bernstein hat folgenden Wortlaut:

Frage: Die in Europa siegreichen Alliierten – die Vereinigten Staaten, Großbritannien und die Sowjetunion – waren bei Ende des Zweiten Weltkrieges das mächtigste Militärbündnis, das die Welt je gekannt hatte – ein Bündnis, das über die Stärke verfügte, die nötig war, eine friedliche Weltordnung zu begründen. Warum brachten sie diese dann doch nicht zustande? Worin unterschieden sich die sowjetischen Vorstellungen von der Nachkriegswelt so sehr von denen der westlichen Demokratien?

Antwort: Die Russen, die stärkste Macht auf dem europäischen Kontinent, wollten zum Herzen des Kontinents werden. Wäre ihnen nicht klargemacht worden, daß man ihnen dies nie gestatten würde, so hätten sie ihren Druck überall auf dem Kontinent zur Geltung bringen können. Denn das war ja genau das, was bereits Napoleon gewollt hatte und was auch Hitler getan hat.
Dieser marschierte nach Westen und marschierte nach Osten. Er suchte sich zum Herren des Kontinents aufzuschwingen.
In Bretton Woods und später zur Zeit des Marshall-Plans hatten wir aufrichtig geglaubt, die starken Zerstörungen würden die Sowjetunion dazu veranlassen, das Schwergewicht auf den Wiederaufbau ihrer Produktion, die Erhöhung des Lebensstandards ihres Volkes und die Modernisierung ihrer Wirtschaft zu legen. Und das war bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch tatsächlich eine der Alternativen, die sie ins Auge gefaßt hatte.
Sie nahm an der Konferenz von Bretton Woods teil. Und gegen Ende jenes Jahres 1945 ersuchte Rußland die Vereinigten Staaten um einen Kredit in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Wir boten daraufhin der Sowjetunion einen Kredit von einer Milliarde Dollar durch die Export-Import-Bank in Washington an, der eine günstige Interimshilfe bis zum Anlaufen des Marshall-Plans hätte sein können. Und wir boten, wie Sie alle wissen, der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten die Teilnahme am Marshall-Plan an.
Wie ich vermute, war die Sowjetunion zu dem Schluß gelangt, sie würde wirtschaftlich zu sehr unter den Einfluß der Vereinigten Staaten geraten, wenn sie versuchte, ihr Land mit massiver amerikanischer Hilfe wiederaufzubauen.

Frage: Wo stünde die Welt heute, wenn die Sowjets Marshall-Plan-Hilfe angenommen hätten?

Antwort: Ich glaube, wir hätten eine von Grund auf bessere Welt. Allem voran wäre meines Erachtens der Lebensstandard in der Sowjetunion heute viel, viel höher; statt bei Wiederaufbau, Aufschwung, Produktion und Einkommen hinter Westeuropa, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich – auch hinter Japan – herzuhinken, hätte die Sowjetunion mit ihnen gleichziehen können.
Meiner Meinung nach wäre das gesamte Umfeld für die Erhaltung des Friedens ein ganz anderes geworden.

Frage: Welche Faktoren bewogen die Westalliierten, den Wiederaufbau bei ihren Kriegsgegnern zu unterstützen, ihnen wirtschaftlich zu helfen und eine demokratische Allianz mit ihnen einzugehen?

Antwort: Ich glaube, uns wurde Folgendes klar: Die Sowjetunion hatte die Möglichkeit, ihre gewaltige Militärmacht in Europa zum Tragen zu bringen – nicht durch einen Einmarsch oder dessen Androhung, sondern allein durch die Demonstration dieser Macht mit dem Hinweis: „Wenn ihr nicht so oder so handelt, dann wißt ihr ja, wie die Alternative aussehen könnte.“
Dies aber stellte uns vor die Notwendigkeit, alle jene Gebiete zu stärken, in denen der Sowjetunion andernfalls ein Vordringen leichtgefallen wäre. Das waren Deutschland in Westeuropa, und Japan im Fernen Osten.

Frage: Wieso brachten die Demokratien den Willen auf, sich der kommunistischen Aggression nach dem Krieg zu widersetzen, nachdem sie sich Jahre zuvor als unfähig erwiesen hatten, gegen die faschistische Aggression zusammenzustehen?

Antwort: Die wahre Antwort hierauf lautet wohl, daß sich die Demokratien in den dreißiger Jahren allzusehr dem Frieden verpflichtet gefühlt hatten, wenn man das so sagen kann; das heißt, sie werteten den Frieden sehr viel höher als alles andere – wie die Preisgabe von Position um Position an Hitler ja schließlich gezeigt hat. Chamberlains Politik war „Frieden in unserer Zeit.“ Erst als er sah, daß Hitler, der wiederholt erklärt hatte, „das ist die letzte Forderung, die wir haben“, schließlich doch in Polen einmarschierte, entschlossen sich Chamberlain, die Briten und die Franzosen zum Widerstand.
Als wir in der Nachkriegszeit, in den späten vierziger Jahren, eine ähnliche Gefahr erkannten, wie sie Hitler dargestellt hatte – daß nämlich die stärkste Macht auf dem Kontinent diesen zu beherrschen trachtete – und wir, im Falle Hitler, feststellten, daß deren Normen, Moralvorstellungen und politischen wie wirtschaftlichen Ziele sich von den unseren so stark unterschieden, mußten wir uns ihrem Vordringen widersetzen. Oder wir mußten ihr zumindest klarmachen: „Falls du dich in Marsch setzt, wird das nicht ohne Folgen bleiben.“

Frage: Wird das Bündnis der Demokratien, das den Stürmen der letzten 40 Jahre zu trotzen vermochte, seine Kraft und Stärke bewahren können?

Antwort: Das wird es meiner Überzeugung nach. Wir müssen uns aber meiner Meinung nach darüber im klaren sein, daß sich heute wohl jeder wohlhabender und zufriedener fühlt als Ende des Zweiten Weltkrieges. Und Menschen, die sich zufrieden und wohlhabend fühlen – und das trifft für Europa, Japan und auch für uns zu –, hoffen, daß nichts ihren Frieden stört. Wir sind alle zufrieden. Wir lehnen uns geruhsam zurück. Wir freuen uns des Lebens. Und wir wollen keine Störungen – wir wollen keine Störungen etwa durch die Entwicklung neuer Waffen. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, wir bedienten uns gegenüber den Russen eines rüden Umgangstones, auch wenn sie uns gegenüber eine solche Sprache sprechen.

Frage: Welche neuen Aufgaben gibt es für die demokratische Allianz?

Antwort: Ihr gesamte wirtschaftliche, soziale und politische Stärke zu mobilisieren (...)

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst vom 15.05.1985 unter dem Titel "40 Jahre freie Wirtschaft – 40 Jahre Erfolg – Interview des US-Wirtschaftsexperten Edward M. Bernstein zur Entwicklung der Weltwirtschaft in der Nachkriegszeit". Um den vollständigen Artikel lesen zu können, klicken Sie bitte hier.

Edward M. Bernstein über die Weltwirtschaft der Nachkriegszeit