Die Evolutionsgeschichte der Bretzel

Wer kennt sie nicht? Das deutsche Gebäck erfreut sich internationaler Bekanntheit, aber kaum einer weiß, wie geschichtsträchtig das Gebildbrot tatsächlich ist. Ein Amerika Dienst Artikel aus dem Jahre 1949 über eine einflussreiche Teigware, die sowohl im Altertum als auch in der Gegenwart immer wieder für Aufruhr sorgte.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Philadelphia, Pennsylvania – Bretzeln haben eine lange Vergangenheit und spielten in der Magie und Religion eine beträchtliche Rolle. Diese lange Geschichte hat natürlich auch in der Rechtschreibung ihre Spuren hinterlassen, denn neben Bretzel finden wir noch Brezel, Brätzel und Prezel – auch hört man neben die auch der und das Bretzel sagen während man in den Vereinigten Staaten, wo dieses Gebäck sich ebenfalls grosser Beliebtheit erfreut, „pretzel“ schreibt.
Bretzeln soll es in Mitteleuropa schon im Altertum gegeben haben, und zwar sowohl bei den Römern als auch bei den Germanen, die ein ähnlich geformtes Gebäck dem Gotte Donar widmeten, bis um die Mitte des 8. Jahrhunderts dieses „heidnische“ Gebäck als „Heidenwecken“ verboten wurde. Es feierte jedoch bald in etwas veränderter Form Auferstehung und zwar ähnelte es nun zum Gebet verschlungenen Armen und erhielt daher auch von dem lateinischen Worte „bracellum“, Ärmchen, seinen Namen.
Damit waren aber auch keineswegs aller Schwierigkeiten und Probleme in der Geschichte der Bretzel vorüber, denn es war unter anderem auch der Anlass zu andauernden Streitigkeiten unter den Pennsylvania-Deutschen in den Vereinigten Staaten: Nachbarn wurden zu Erbfeinden, einzelne Gemeinden isolierten sich hochmütig von den anderen, Zwist und Uneinigkeit brachen immer wieder los – und das alles wegen der Bretzelrezepte, die sorgsam gehütet, eifersüchtig bewahrt und nur vom Vater auf den Sohn weitervererbt wurden. Die Teigrezepte wurden besonders in der Gegend von Lititz fast ebenso geheim gehalten wie etwa heute das „Rezept“ zur Herstellung von Atombomben. Sie haben sich im Laufe der Zeit kaum geändert, und eine der grossen „Pretzel“-Firmen Amerikas erzeugt heute noch ihr knusperiges Gebäck nach den alte Rezepte aus dem Jahre 1861.
Bei der Herstellung vereinen sich industrielle Massenfabrikation und traditionsreiche Feinbäckereikunst und wenn die Produktion auch gleichsam am laufenden Band vor sich geht, so ist andererseits wieder ein eigener Arbeiter beschäftigt, der festzustellen hat, ob das Krachgeräusch der „pretzels“ richtig ist.
(Bei einem Gebäck mit so ehrwürdiger Vergangenheit muss oben auf alles achtgegeben werden.) – Übrigens ist es gar nicht ausgeschlossen, dass diese „urgermanischen“ Delikatessen demnächst ihre Renaissance in der alten Heimat feiern werden, wenn die einstmals mystikumwobenen Bögen, bei deren Zerbrechen man sich etwas wünschen durfte, eines Tages säuberlich kartoniert als knusperiges Produkt „made in U.S.A.“ wieder bei uns auftauchen.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Für die Frau“ vom 10.10.1949 unter dem Titel "Magisches Gebäck – im Zeichen der Bretzel gab es Kämpfe und Streitigkeiten aller Art". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Extrawürste – auch in Amerika teuer“ oder „Truman begrüsst die politische Tätigkeit der amerikanischen Frauen“, klicken Sie bitte hier.

(Anmerkung: Die verlinkte PDF-Datei beginnt mit einem englischen Inhaltsverzeichnis. Für das deutsche Inhaltsverzeichnis blättern Sie einfach weiter auf S. 2)

Die Evolutionsgeschichte der Bretzel