Dezember 1949: Ein deutsch-amerikanisches Frauentreffen

Bei einem deutsch-amerikanischen Frauentreffen in Wiesbaden kommen Frauen beider Nationen zusammen, um sich über Themen wie die Haushaltsführung, Kindererziehung, Frauenstrafvollzug und Arbeitsbedingungen auszutauschen.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Wiesbaden – „Zwei Dinge fielen mir in Amerika besonders auf: es gibt keine Ruinen, und die Menschen sind nicht mißtrauisch“, bemerkte eine der 13 deutschen Frauen, die kürzlich aus Amerika zurückkehrten. Vor 200 amerikanischen und deutschen Frauen berichteten sie auf einem deutsch-amerikanischen Frauentreffen in Wiesbaden über ihre Beobachtungen auf dem Gebiete der Heimgestaltung, Arbeitsbedingungen, Gefangenenfürsorge und andere Fragen, die das Leben der amerikanischen Frau von heute ausfüllen.
In den Vorträgen und Diskussionen wurde vor allem offensichtlich, wie schwer es ist, die U.S.A. Als ein Ganzes zu erfassen. Allzu leicht neigt man dazu, die eigenen Eindrücke als typisch für die Vereinigten Staaten anzusehen, und auch bei den Zuhörerinnen konnte man ähnliche voreilige Schlüsse feststellen. Als beispielsweise eine Gewerkschaftsjuristin in einem Vortrag bemerkte, daß der durchschnittliche Wochenlohn des amerikanischen Arbeiters 53 Dollar beträgt, war eine der Zuhörerinnen nur schwer zu überzeugen, daß die Baumwollpflücker in Tennessee diese Summer oft nicht einmal in einem Monat verdienen. Außerdem erhoben sich bei berichten über Beispiele eines außergewöhnlich hohen amerikanischen Lebensstandards in einzelnen Berufen Zweifel an der Möglichkeit einer Verbesserung der Lebensbedingungen in Deutschland, da hierzu viele der in Amerika gegebenen Voraussetzungen fehlen. Trotzdem wurde aber eine Reihe konstruktiver Vorschläge zur Verbesserung der deutschen Bedingungen gemacht.
Die Erziehung des amerikanischen Kindes zu einem selbstständig denkenden und handelnden Mitglied einer demokratischen Gemeinschaft beginnt bereits im Kindergarten. Die Leiterin eines Frankfurter Kindergartens berichtete darüber: Die Kinder werden zu innerer Sicherheit erzogen, sie werden von den Eltern und Lehrern als Individuum respektiert. Außerdem erzieht man die Kinder zur Anerkennung einer fremden Meinung und zur Fähigkeit, eine vernünftige Diskussion zu führen. Es würde nach der Meinung der Leiterin für Deutschland nur förderlich sein, wenn der Übergang vom Kindergarten zur Volksschule leichter und glatter gestaltet würde, denn diese ersten Jahre seien die wichtigsten im Leben eines Kindes. Ebenso traten einige der Frauen stark für gemischte Knaben- und Mädchenklassen ein, die dem späteren Leben viel mehr entsprechen.
Auch die Lebenskreise der Erwachsenen und ihre verschiedenartige Ausgestaltung in Amerika und Deutschland wurden eingehend besprochen. Bei einer Diskussion über die Verhältnisse in den Gefängnissen machte die Leiterin eines Frauengefängnisses in Frankfurt auf Grund ihrer in den Vereinigten Staaten gesammelten Erfahrungen verschiedenartige Änderungsvorschläge zum Strafvollzug in Deutschland. Die Strafanstalten müßten in Besserungsanstalten umgestaltet werden. Dabei könnten Psychiater, welche die Gefangenen nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen klassifizieren, von großem Nutzen sein.
Als vorbildlich erwähnte eine deutsche Ärztin das starke Vertrauensverhältnis, das zwischen der amerikanischen Bevölkerung – besonders Kindern, und den öffentlichen Gesundheitsbehörden besteht. In diesem Zusammenhang wurde ein besonders enger Kontakt zwischen deutschen und amerikanischen Ärzten befürwortet, um Deutschland auf die Höhe des heutigen Standes in der Medizin und Gesundheitsfürsorge zu bringen.

Das Hauptproblem: die Stellung der Frauenfragen

Die wichtigsten Diskussion in Haus Schwalbach ging um die Möglichkeit, den deutschen Frauen trotz der Schwierigkeiten der Nachkriegszeit Erleichterungen zu verschaffen, damit sie mehr Anteil am Gemeinschaftsleben und an der Politik nehmen können. Der Drang nach einer Betätigung im weiteren Kreise sei bei den deutschen Frauen durchaus vorhanden, aber mangelnde Erfahrung im öffentlichen Leben, Arbeitsüberlastung in altmodisch eingerichteten und geführten Haushaltungen und die Abneigung vieler deutscher Männer gegen die Verwendung von Konserven mache ihnen die aktive Teilnahme am Gemeinschaftsleben fast unmöglich.
Es wurden hervorgehoben, daß die verheiratete Amerikanerin nicht nur arbeite, um ihre Familie finanziell zu unterstützen, sondern auch, weil sie auf ihr eigenes Fortkommen stolz ist. Eine der deutschen Frauen sagte: „Berufstätige Frauen in den Vereinigten Staaten sehen gepflegt aus und besitzen Persönlichkeit und vorbildlichen Charm. Der Grund dafür ist in der wesentlich besseren Ausrüstung ihres Heimes zu suchen und in der engeren Zusammenarbeit aller Familienmitglieder. Schon im Kindergarten müssen auch die Jungen ihre Zimmer selbst sauberhalten und lernen, einfache Mahlzeiten selbst zuzubereiten. Für jeden Mann ist es eine Selbstverständlichkeit, seiner Frau die tägliche Tretmühle des Haushalts soweit wie möglich zu erleichtern. Diese Schilderung veranlaßte eine Zuhörerin zu dem spontanen Ausruf: “Ich denke, wir sollten unsere Männer auch dazu erziehen“.
Durch Elektrifizierung des Haushalts und Stallbetriebes genießt auch die amerikanische Bäuerin heute viele Vorteile. Die in amerikanischen Dörfern übliche gemeinschaftliche Anschaffung von Eis- und Kühlschränken könnte aber beispielsweise auch in Deutschland dazu beitragen, die Arbeitslast der Frauen zu verringern. Immer wieder wurde auf diesem Treffen betont, daß eine Frau ihrer Familie und der Gemeinschaft viel mehr nützen kann, wenn der Haushalt nicht alle ihre Kräfte voll beansprucht. Die deutsche Frau muß in der heutigen Zeit versuchen, eine gesunde Synthese zwischen traditioneller und moderner Haushaltsführung zu finden.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst „Für die Frau“ vom 12.12.1949 unter dem Titel "Moderne Frauen und moderne Haushaltsführung – Deutsche Frauen berichten über ihre Erlebnisse in Amerika". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Comeback als Großmutter“ oder „Bessere Aussichten für die berufsträtige Frau in Amerika“, klicken Sie bitte hier.

(Anmerkung: Die verlinkte PDF-Datei beginnt mit einem englischen Inhaltsverzeichnis. Für das deutsche Inhaltsverzeichnis blättern Sie einfach weiter auf S. 2)

Dezember 1949: Ein deutsch-amerikanisches Frauentreffen