Deutsche Küche in internationalen Gewässern

"Hummel Hummel" – norddeutsche Grüße von der Tradewind, einem weißen Luxusdampfer, der den Potomac entlang tourte, isst man deutsche Küche. Lesen Sie mehr über das internationale Schiff der 50er-Jahre und seine deutsche Besatzung.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

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Ein Artikel von Peter Heidenberger

Washington – Jeden Samstag Morgen dampft von Bermuda kommend ein weißer Ozean-Luxusdampfer den Potomac aufwärts. Es ist eine schwierige Aufgabe, das 9,200 Tonnen Schiff zwischen den Sandbänken des für Hochseeschiffe nicht geeigneten Stromes hindurchzumanövrieren. An Mount Yernon, dem weiß schimmernden Landsitz George Washingtons vorbei, schiebt sich das Schiff langsam an die Stadt Washington heran, die durch den Potomac und seine Mündungsbay mit dem atlantischen Ozean verbunden ist. Ein kleiner Schlepper löst sich aus dem Morgennebel und hilft beim Anlegen am Pier. Die schwierige Navigation ist wieder einmal erfolgreich beendet. Die Verantwortung dafür trug der deutsche Kapitän Werner Budig. Als Kapitän Budig im Frühsommer dieses Jahres zum ersten Mal mit seinem Schiff "Tradewind" am Washingtoner Pier angelegt hatte, berichteten die Zeitungen begeistert, dies sei der Beginn einer neuen Ära Washingtons als ein Hafen für Überseeschiffe.
Denn wenn die "Tradewind" sich den flachen Potomac hinaufarbeiten konnte, so müsste dies nach weiteren Ausbaggerungen des Flußbettes auch für andere Schiffe möglich sein. Im vergangenen Jahr fuhr bereits ein kleinerer Dampfer, die "Silver Star", mit teilweise deutscher Besatzung den Potomac hinauf bis Washington. "Tradewind" ist jedoch das größte Schiff, das bisher nach Washington kam. An gewissen Stellen war ihr Kiel nur 30 bis 40 cm über dem Grund. Werner Budig war vor dem Krieg Kapitän von Schiffen der deutschen Horn-Linie; 25 Jahre lang hatte er Handelsschiffe kommandiert, die von Hamburg nach den westindischen Inseln fuhren. Wenn auch während der Flußfahrt ein Lotse an Bord ist, so trägt Kapitän Budig doch stets die letzte Verantwortung.

Ob die "Tradewind" tatsächlich zu einer Belebung des kleinen Hafens von Washington beitragen wird, muß die Zukunft zeigen.
Außer Segelbooten und Privatsachten charakterisieren vorerst noch kleine Fischerboote den Hafen, und selbst bevor die "Tradewind" bis zur amerikanischen Hauptstadt vordringen konnte, mußten Spezial-Bagger eingesetzt werden, die versandete Stellen freilegten. Aber auch das genügte noch nicht. Wenn die "Tradewind" am gleichen Nachmittag Washington wieder verläßt, hat sie außer bis zu 300 Passagieren nur Lebensmittel und Trinkwasser übernommen. Der Brennstoff für die Maschinen wird erst weiter draußen aufgefüllt, nachdem die leicht beladene "Tradewind" die seichten Stellen passiert hat. Dieser keineswegs mehr junge Ozeandampfer hat durchaus internationale Eigenschaften: Er gehört einer amerikanischen Gesellschaft, segelt unter der Flagge von Liberia und hat eine rein deutsche Besatzung. Außer dem Kapitän sind sämtliche 122 Offiziere und Mannschaften im vergangenen Jahr in Hamburg angeheuert worden.
"Warum haben Sie eine deutsche Crew?" fragten wir Captain Alan Veater, der als Manager von Washington aus das Schiff mit dem Nötigen versorgt.
"Wir hatten vergangenes Jahr Gelegenheit, auf der 'Silver Star' deutsches Personal zu beobachten", erklärte Captain Veater. "Die Leute machten ihren Job so gut, daß wir uns entschlossen, nach Hamburg zu fahren und dort für die 'Tradewind' eine ausschließlich deutsche Besatzung anzuheuern. Die Besatzung hatte vergangenen Dezember in Seattle, an der amerikanischen Westküste, das Schiff übernommen. Ihr erster Trip ging um den nordamerikanischen Kontinent durch den Panama-Kanal nach Miami, von wo die 'Tradewind' Fahrten nach den karibischen Inseln unternahm. Von Washington aus machte die 'Tradewind' siebentägige Vergnügungsfahrten nach Bermuda und neuntägige Reisen nach Havana und Nassau. Mit Abschluss der Saison, Anfang Oktober, geht die Besatzung wieder nach Hamburg zurück. Die 'Caribbean Atlantic Lines', der die 'Tradewind' gehört, beabsichtigt jedoch für nächstes Jahr ebenfalls wieder eine deutsche Besatzung zu heuern, „wenn möglich wieder die gleichen Leute."
Captain Veater erklärte weiter, die deutsche Besatzung sei bei den amerikanischen Passagieren außerordentlich beliebt. Neben der aufmerksamen Bedienung werde besonders die deutsche Küche sehr gelobt, "ausgezeichnetes Essen, nur zu viel" sagte eine ältere Dame nach der Rückkehr. Und "die Kapelle hörte überhaupt nicht auf zu spielen; die Leute waren wirklich reizend", eine andere.
Obwohl das Schiff unter der Flagge von Liberia fährt, hat es Afrika noch nie gesehen und wird es wahrscheinlich auch niemals anlaufen. Die Besatzung bekommt die in Deutschland üblichen Sätze. Wenn sie in Washington landen, bleibt ihnen jedoch wenig Zeit, die amerikanische Hauptstadt näher kennen zu lernen. Das Schiff legt regelmäßig Samstag früh um 8 Uhr an und um 15 Uhr muß alles wieder an Bord sein, da zwei Stunden später die "Tradewind" bereits wieder abdampft. Freunde bringen dann Reisende ans Schiff, das bis an die Toppen beflaggt ist. Die Bordkapelle beginnt ihre unermüdliche Arbeit von neuem, der Schlepper zieht die "Tradewind" vom Pier, ein Heizer auf Freiwache ruft "Hummel, Hummel" und Kapitän Budig übernimmt erneut die Verantwortung für das Wohl und Wehe der 300 Passagiere.

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst vom 28.07.1955 unter dem Titel "Hummel Hummel am Potomac – deutsche Schiffsbesatzung in Amerika sehr beliebt". Für weitere Artikel dieser Ausgabe wie: „Große Hoffnung Amerika“ oder „Squaw Valley – Schauplatz der Winterolympiade 1960“, klicken Sie bitte hier.

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