Amerika trauert um Präsidentenwitwe "Jackie"

Am 19. Mai 1994 verstarb Jacqueline Kennedy Onassis an Krebs. Im Amerikadienst vom 24.05.1994 wurde ein Porträt zu Ehren der verstorbenen Präsidentengattin gedruckt.

(Anmerkung: Orthographie und Interpunktion sind dem Originaltext nachempfunden. Der Wortlaut des vorliegenden Textes wurde originalgetreu dem Artikel des Amerikadienstes entnommen.)

Illustrationen

Ein Porträt

Washington – Wir wußten, daß selbst Jacqueline Kennedy Onassis eines Tages alt werden und wie wir alle aus diesem Leben scheiden würde. Aber in unserem Herzen weigerten wir uns, es zu glauben.
Für eine ganze Generation, die John Kennedys Camelot – Jackie, wie sie Millionen bekannt war – nicht vergessen können und wollen, wird sie für immer jung und ein ewiges Symbol einer besonderen Zeit im Leben dieser Nation sein, als alles möglich schien und die Hoffnung grenzenlos war.
Für diejenigen unter uns, die die Kennedy-Jahre miterlebten, brachte die Nachricht von ihrem Tod am 19. Mai 1994 alle Erinnerungen zurück – Jackie mit ihrer Familie und Freunden beim Segeln vor Cape Cod und beim Tennis in Hyannis Port, ihre blendenden Auftritte im Weißen Haus bei Staatsempfängen, ihre stille Würde am Arlington National Cemetery mit John Jr. Und Caroline an ihrer Seite, als die Nation ihrem jüngsten Präsidenten Lebewohl sagte.
Das Fernsehen wurde während der Kennedy-Präsidenschaft populär. Zum ersten Mal in der Geschichte sah die Nation das Präsidentenpaar aus der Nähe – sowohl bei offiziellen als auch inoffiziellen Anlässen – für alle Zeiten festgehalten, zumeist auf körnigem Schwarzweißfilm. Dies macht die Erinnerung unweigerlich noch lebhafter – die Ereignisse scheinen soviel realistischer.
Aber das Gefühl des Verlusts bei der Nachricht vom Tode dieser bemerkenswerten Frau ging noch tiefer. Die Anziehungskraft von Jacqueline Kennedy Onassis und John Kennedy war sehr viel stärker als die Schaffung eines Images durch die Macht des Fernsehens, ging weit über Zauber und Stil hinaus, war im wesentlichen losgelöst von unserer Trauer bei der Tragödie einer Amtszeit, die durch einen Mord frühzeitig beendet wurde.
Jacqueline Kennedy Onassis und John Kennedy schienen etwas im tiefstem Inneren von uns allen anzurühren – Amerikanern und Nichtamerikanern gleichermaßen. Sie stellten einen Bruch mit dem
Bedauern der Vergangenheit dar, sie schienen die Unruhe und Rastlosigkeit einer Nachkriegsgeneration zu verkörpern, die nach der tieferen Bedeutung des Lebens und höherer Leistung in der Staatskunst strebte. Sie steckten ihre Ziele so hoch. Die Enttäuschungen, die sie im privaten wie im öffentlichen Bereich erlitten, schienen die von uns allen gefühlte Frustration widerzuspiegeln, wenn wir unsere Fähigkeiten erweitern und unsere Besorgnis vertiefen.
Niemand war sich ihrer Anziehungskraft besser bewußt als John Kennedy. Überall auf der Welt wollten die Menschen etwas über Jackie und John wissen. Bei einem Staatsbesuch in Frankreich sagte der Präsident geistreich: „Ich bin der Mann, der Jacqueline Kennedy nach Paris begleitet hat.“ Aber auch Jackie besaß Humor, wenn auch etwas tiefgründiger. Auf die Frage, welche Art von Musik ihr Mann gerne hörte, erwiderte sie: „Spielen Sie nur immer wieder „Hail to the Chief“.
Sie war eine leidenschaftliche Anhängerin der Kunst und des Denkmalschutzes. Das Weiße Haus veränderte sein Gesicht nach ihrem Einzug, und Washington wurde eine andere Stadt. Bald waren Dichter wie Carl Sandburg und Komponisten wie Igor Strawinsky ebenso willkommen wie die herausragendsten ausländischen Staatsoberhäupter und die wichtigsten Kongreßabgeordneten. Die Amerikaner gewannen nicht nur durch ihre Regierung, sondern auch durch das Engagement ihrer Nation für Kultur an Stolz.
Obwohl unsere Erinnerung an sie immer mit den drei unglaublichen Jahren verbunden sein wird, in denen sie die First Lady war, blieb Jacqueline Kennedy Onassis auch in den Jahren nach Dallas in unserem Gedächtnis haften. Die Öffentlichkeit war in gewisser Weise enttäuscht, als sie 1968 den griechischen Schiffsmagnaten Aristoteles Onassis heiratete, zeigte jedoch auch Verständnis, daß diese Frau viel durchlitten hatte und ihren eigenen persönlichen Frieden suchte.
Als sie Mitte der siebziger Jahre in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, wurde sie Lektorin bei einem Verlag und zog sich in New York in das Leben einer Berufstätigen und Mutter zurück. Ihre Aufopferung für ihre Kinder – und deren Privatsphäre – war legendär. Sie sagte einmal: „Wenn man die Erziehung seiner Kinder verpfuscht, zählt alles andere, was man tut, nicht mehr viel.“ Ein Freund stellte fest: „Ihre Kinder waren immer der Mittelpunkt ihrer Welt.“
In den Jahren nach Washington äußerte sie sich selten in der Öffentlichkeit. Sie behielt ihre Gefühle für die Menschen und Ereignisse in ihrem Leben für sich und vertraute sich vielleicht ein paar engen Freunden an. Wir wissen wenig von ihrem persönlichen Leid oder der Grundlage ihrer inneren Stärke. Im Januar wurde bei Jacqueline Kennedy Onassis Krebs diagnostiziert. In den vergangenen Wochen wurde die Prognose düster. Einen letzten Blick von ihr erheischten wir am vergangenen Wochenende, als sie zum letzten Mal durch ihren geliebten Central Park spazierte. Als sie in der vergangenen Nacht verstarb, waren ihre beiden Kinder bei ihr. Draußen fiel ein leichter Regen als sich die Menschen versammelten, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.
Ihr Schwager, Senator Edward Kennedy, sagte: „Jackie war 40 wundervolle und unvergeßliche Jahre ein Teil unserer Familie und unseres Lebens, und sie wird uns nie verlassen.“
Ohne Zweifel kann man hinzufügen, daß sie auch stets in der Erinnerung unserer Nation lebendig sein wird. Amerika trauert nicht nur um eine starke und mutige Frau, sondern auch um ein lebenswichtiges Bindeglied zur Vergangenheit, das niemals verloren sein wird. Henry Allen von der Washington Post schrieb: „Sie war still. Sie war schön. Sie war unser, und sie war wir.“

Dieser Artikel erschien im Amerikadienst vom 25.05.1994 unter dem Titel "Zum Tode der Präsidentenwitwe – ein Porträt". Für weitere Artikel dieser Ausgabe, wie: „USA ändern Haltung gegenüber Waffen“, oder „Die Austragungsorte des World Cup 1994“, klicken Sie bitte hier.

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